Chanel No.5 in Chalet No.4

„Lass uns Weihnachten ohne die Kinder verbringen“, war die Ursprungsidee. Schnee, Berge, Wham-Romantik ok, aber Kitzbühel? Ernsthaft jetzt? Da kostet eine Sonnenbrille am Kiosk, was ich dieses Jahr an Weihnachtsgeld bekommen habe. Passen wir da hin? Na schauen wir mal, denn zumindest der Schnee ist in Kitzbühel nicht weißer als der in Magdeburg.

3 Tage Kirchberg auf einer 4**** Alm sollten es also werden. Gönn dir Mädchen, hab ich mir gesagt. Ski fahren ist ja nicht so meins. Wintersport ist nicht so meins. Sport ist nicht so meins um ehrlich zu sein. Egal ob im Sommer oder Winter. Aber der Mann liebt es und ich den Mann und so beschloss ich, während er auf den Brettern steht die ihm die Welt bedeuten, hochwissenschaftliche Sozialstudien zu betreiben. Dass es für eine 300 seitige Dissertation reichen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar.

Weit entfernt von klassischer Hüttengaudi wo die pelztragenden Nachkommen Neureicher sich Champagner saufend unter das normale Fussvolk mischen und alle gemeinsam Andreas Gabalier gröhlen, legte auf unserer Schickialm mit den 5 Chalets (und in keinem wohnten wir für 2500 Euro die Nacht) ganz gediegen ein DJ auf. Zu „Cafe del Mar“ anmutenden Elektroklängen feierte der Typ hinterm Mischpult sich selbst mit off-beat-Bewegungen (ich bewundere ja heimlich Menschen die das können) zur eigenen Muke und im psychodelisch gemusterten Norwegerpulli. Ich an seiner Stelle hätte morgens ne Playlist auf die 1800 m hochgemailt und wäre daheim geblieben. Für die Gäste hätte es nämlich im Ergebnis keinen Unterschied gemacht. So stand er nun da und „legte auf“ im Wintergarten. Wir saßen zu dieser Zeit gerade draußen, weil es mal nicht regnete und die Nacht uns herrlichen Neuschnee beschert hatte. Es muss etwa 11 Uhr gewesen sein. Hinter uns saß ein Pärchen ca. 5-10 Jahre älter als wir. Sie bestellten eine Vorspeise, einen Hauptgang und auch nur ein Dessert und aßen jeweils zu Zweit davon. Seine heiße Schokolade (jeder hatte ein eigenes Getränk) pimpte der Mann mit einem mitgebrachten, flugs aus der Jackentasche gezogenem Kurzen auf. Respektvolle, anerkennende Blicke von mir und innerliche Standing Ovationes. Ich hatte heiße Schokolade mit Likörchen bestellt. Beim Kellner. So ganz offiziell. Für 6, 50 Euro! Neben uns zwei Pärchen Mitte zwanzig. Die Damen in Pelz gehüllt. Natürlich. Die Herren in Anzüge, die den Charme von Schuluniformen eines Eliteinternats versprühten. Dazu Uhren am Handgelenk groß wie ein Buslenkrad und selbstredend Sonnenbrillen. Das es gerade nicht regnete hieß allerdings noch lange nicht, dass die Sonne schien. Scheinbar in bestimmten Kreisen aber keine Sonnenbrillentragevoraussetzung. Also Sonne. Ein weiteres Pärchen saß Bier trinkend schräg neben uns. Sie so Anfang 40 und er vielleicht etwas älter. Die beiden waren uns schon vorher öfter aufgefallen, weil sie ähnlich oft wie wir im Gastrobereich rumlungerten. Ich vermutete es sei wie bei uns. Ein aktiver Part und ein dekorativer. Wer bei denen wer war schien nicht gleich eindeutig, im Gegensatz zu uns. Sie wirkten jedenfalls sehr sympathisch , weil so herrlich normal und ähnlich beobachtend und tuschelnd wie wir. Nach einer ausgedehnten Wanderung bergauf im Neuschnee, die ich nur lautstark fluchend und ebenso lautstark keuchend, zudem noch unter dem Einfluss meines Eisprungs stehend, überstand- wirkte der Jagertee den wir nun auf der Terrasse konsumierten wie  Brandbeschleuniger. In Anbetracht dieser Tatsache entschied ich mich für ein Mittagsschläfchen und zog mich aus der illustren Runde zurück. Der Mann schnallte sich leicht bepegelt die Ski unter. Nun, jedem das seine. Wir verabredeten uns lose in 2 Stunden zum Weitertrinken zu den nun leichten uptempo Elektrobeats von DJ Neon-Norweger.

Ingrid machte es mir allerdings unmöglich zu schlafen. An den Bass, der aus den Lautsprechern unter unserem Zimmerfenster drang, hätte ich mich sicher gewöhnen können. Aber an das kontinuierliche, sehr angepisst wirkende Dauerbellen eines Minihundes, der mit Frauchen im Zimmer neben oder unter uns wohnen musste, konnte ich mich nicht anfreunden. Wir haben das weiße Knäul Ingrid getauft, weil es eben wie eine Ingrid aussah. Basta! Frauchen saß sicher wieder Alkohol konsumierend am Tresen. Wie schon am Abend davor. Da begann irgendwann der Kellner, auf ihren Wunsch hin, direkt ins benutzte Glas nachzuschütten, anstatt ein neues zu servieren. Ingrids Frauchen wirkte sehr mondän. Kitzbühelerin vielleicht. Ende 50zig. Schick und teuer gekleidet, aber eher Understatement. Sie wirkte sehr vertraut im Umgang mit dem Personal. In irgendeiner Weise schien sie zum Laden zu gehören. Sie redete für alle gut hörbar und so erfuhren wir, ob gewünscht oder nicht, aus einem Gespräch mit der nun weiblichen Servicekraft die wie Chiara Ohoven aussah, wer was bei wem und für wie viel schon hatte im Gesicht nachjustieren lassen. Lippen aufspritzen gabs bei Chiara und Ingrids Frauchen für sparsame 200 Euro, sah aber leider alles andere als sparsam aus. Bei Chiara vor allem.

Ingrid bellte also unaufhörlich und hatte im Grunde genommen ja auch völlig recht damit. Frauchen amüsierte sich und sie musste im Zimmer hocken. Und bellen! Nach ca. 1,5 Stunden gab ich mich geschlagen, fühlte mich erschlagen, stand aber auf. Da kam auch schon der Mann  zurück. Gut gelaunt war er die Piste auf Skiern hochgekraxelt, so 30 min, um sie dann wieder runterzufahren, so 7 min. Ich verstehe das alles nicht. Muss das so sein? Ich hätte ja den Lift genommen. Aber Lift scheint für Weicheier oder Anfänger, getreu dem Motto: wer kann der hat (Insider. Nur einer lacht). Jetzt war Pegel halten angesagt, also machten wir uns kurz frisch und dann ging es zurück ins Getümmel. Der Wintergarten war nun voll mit Tagesgästen, die nach dem Skifahren zu Mittag essen wollten, oder die gehört hatten, dass heute DJ Neon-Norweger auflegte. Ob die auch alle die Piste auf Skiern hoch sind? Hätte ich mal gefragt! Ingrids Frauchen saß wie vermutet natürlich am Tresen und pichelte mit einer jüngeren Frau lautstark und amüsiert Prosecco. Wir ergatterten noch freie Plätze am Panoramafenster. So unsagbar schön dieser Ausblick auf die schneebedeckten Berge. 2 Tische weiter, wie sollte es auch anders sein, das sympathische Paar, welches die letzten 1,5 Stunden scheinbar auch nur von der Terrasse in den Wintergarten gewechselt war. Sportlich. Ca. 20 Min. später stand der weibliche Teil des Paares bei uns am Tisch. Die Kathrin. Sie eröffnete mit :sie wolle gerne mal Kontakt aufnehmen. Ihr Mann Thomas kam dazu und die großartige Kellnerin Mandy. Die hatte ich bereits am Tag vorher sofort in mein Herz geschlossen, als ich am Kuchenbuffet stand, mich nicht entscheiden konnte und sie sich seitlich nähert  mit den Worten: „Lass das mal mit dem Kuchen. Der schmeckt scheiße!“ Zutiefst dankbar entschied ich mich dann für einen Germknödel und wurde von da an von ihr nur noch „Süße“ genannt.

Mandy brachte also nebst Thomas 4 Marillenschnaps an den Tisch und schwups waren wir zu viert. Und das mir. Die unterkühlte, distanzierte Norddeutsche, die fremde Menschen nicht besonders mag und im Zug 8 Stunden jemandem gegenüber sitzen kann, ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Gut, dass wir alle bereits einen die Zunge hilfreich lockernden Pegel hatten und mein Freund ein grundsätzlicher Menschenfreund ist. Es entwickelten sich Fachgespräche übers Skifahren, was sprichwörtlich das Eis brach. Es war nun ca. 14:30 Uhr. Eine halbe Stunde später waren wir dann schon am „Rumschmusen“. So hieß ein Drink, bestehend aus einem halben Glas Energie in dem ein Kurzer stand. Rum. Chilli flavored. Setzte man das Glas zum Trinken an, floss der Rum mit dem Energiedrink gemischt in den Mund. Erinnerte mich irgendwie an lüttje Lage trinken. Schnell entdeckten Thomas und ich unsere Vorliebe zum Austausch von Eindrücken über andere Gäste (hat es je eine schönere Beschreibung fürs Tratschen gegeben?) Sein Lieblingsgast war „der Vater von Constantin“. Wir wussten nur wie der sehr coole und stylische Sohn des kettenrauchenden, schmierigen Gunther von Hagens Verschnitt hieß. Ich tippte auf Chefarzt in einer Privatklinik für plastische Chirurgie, denn immerhin bewohnten sie eines der Chalets. „Der Vater von Constantin“ wirkte in allem so drüber, so affektiert, so extra lautsprechend damit auch wirklich jeder ihn versteht. Er kam schon zum Frühstück in Skiklamotte und bestellte beim Kellner O-Saft, der für alle Gäste gut sichtbar auf dem Tresen stand und in den Bereich „Selbstbedienung“ fiel. Dieser zwischenmenschliche faux pas stieß auch Thomas sehr auf. Das beruhigte mich. Nichts bejaht mein Weltbild mehr, als mit wildfremden Menschen wiederum andere wildfremde Menschen in die selben Schubladen zu stecken. Ebenso wie das unsere, weckten „Anton&Swetlana“ auch das Interesse von Kathy und Thomas. Anton, Österreicher und sicher schon pensioniert, war in Begleitung der wunderschönen und deutlich jüngeren Swetlana. Hitzige Diskussionen darüber entstanden, welcher Art wohl die Beziehung dieser beiden sein mochte. War da Liebe im Spiel? Oder doch nur Geld? Ich fand ja, dass Anton viel besser zu Ingrids Frauchen gepasst hätte. Worüber redet er mit Swetlana? War sie am Ende nur die Enkeltochter? Mein Freund hat es leider verabsäumt sie in der Sauna mal zu fragen. Die Chance hätte er gehabt. Es verunsicherte ihn und sicher war auch etwas verständliche Enttäuschung dabei, dass die Gute in der Sauna einen Badeanzug trug. Er war nackt. Das wiederum könnte Swetlana verunsichert haben. Badeanzug in der Sauna. Ja schade. So von nackt zu nackt fragt es sich natürlich einfacher: „Du sag mal, liebst du den oder zahlt der nur deine Rechnungen?“ Chance leider vertan. Aber es war spannend sich mit Kathrin und Thomas darüber auszutauschen. Wir tranken viel, redeten viel (tatsächlich auch mal über uns persönlich) und der Wintergarten leerte sich zusehends. Eine Armada an Servicekräften bereitete langsam den Gastraum für das Heiligabend-Abendessen vor. Eigens für dieses hatte ich mir ein neues Kleid zugelegt und am letzten Arbeitstag noch eine Kollegin völlig abgenervt, welcher Schmuck und welche Schuhe am besten passen könnten. Nun war es also mittlerweile so spät, dass wir beschlossen für 20 Min. den Wintergarten zu verlassen um uns dann um 19 Uhr wieder im Gastraum zum essen zu treffen. Seit 12 Uhr am Trinken gab es nur noch 2 Möglichkeiten. Ins Bett oder weitertrinken. Also letzteres und mal was essen täte sicher uns allen gut. Mandy hatte uns vor ihrem wohlverdienten Feierabend einen schönen Tisch reserviert. Zentral. Das war das Wichtigste. Kathy allerdings verweigerte sich der Aufbrezelei. Sie habe nur Jeans und Shirts dabei. So. Was nun? Kleid an? Kleid nicht an? Entschied mich dagegen. Also völlig casual an Heiligabend auf der 4**** Alm in den Kitzbüheler Alpen. Das hatte was. In der Tat.

Um 19 Uhr erwarteten uns Thomas und Kathrin am Tresen und dann wurden wir von Chiara Ohoven zu unserem Tisch begleitet. Wer saß noch am Tresen? Richtig. Ingrids Frauchen. Ohne Ingrid. Aber in Begleitung eines jungen Mannes. Der war schon die letzten Tage immer bei ihr. Tippten schnell darauf, dass es ihr Sohn sei. Und siehe da, Kathrin hatte schon ausgiebig recherchiert. Sie hatte ihn auf Facebook gefunden. Über seinen Nachnamen. Weil er auf einem Foto der Almbroschüre namentlich erwähnt war. Ich war schwer beeindruckt. Ein „Von“. Wir waren versucht Freundschaftsanfragen zu schicken. Er und Ingrids Frauchen, nahmen 2 Tische neben uns Platz. Sehr gut. Frauchen war gut angetrunken und es würde sicher nicht lange dauern, bis sie sich zu uns setzen würde. Uns gegenüber, bzw. Kathy und mir gegenüber, unseren Männern im Rücken, saß eine „Großfamilie“ die noch für viel Stoff zum Reden sorgen sollte. 2 Frauen so Ende 40zig. Die eine Typ blonde Yogalehrin, die andere eher so erfolgreiche Innenarchitektin und brünett. Neben der Architektin ein sehr attraktiver Mann, grau meliert und etwa Anfang 50zig. Dazu noch 2 junge Herren so in den Zwanzigern und 4 junge Damen gleichen Alters. Man bewohnte gemeinsam ein Chalet. Wer war da mit wem verbandelt? Wir entwickelten die wildesten Theorien. Eine der jungen Damen sah aus wie Schneewittchen. Wenn der graumelierte Mann ihr Vater und die brünette Architektin ihre Mutter waren, wer war dann die Yogalehrerin? Und warum hielt Schneewittchen mit ihrem Vater Händchen und streichelte ihm zärtlich den Nacken? Polyamorie? Inzest? Wer waren die anderen jungen Leute? Hatte die Yogalehrerin mit dem Graumelierten das ein oder andere Kind am Tisch aus erster, kurzer Ehe? Waren alle eine große glückliche Patchworkfamilie? Hatten am Ende die Yogalehrerin und die Architektin eine lesbische Nebenbeziehung? 2 Flaschen Wein, 4x Gans mit Knödeln und 3 Lebkuchenparfait weiter wussten wir es leider immer noch nicht. Mein Freund wollte zwar sein Saunaversagen damit gutmachen, dass er dem Graumelierten aufs Klo folgte um ihm zu Ehefrau, Exehefrau und Geliebter an Heiligabend an einem Tisch und vermutlich später auch in einem Bett zu gratulieren. Das scheiterte aber daran, dass der Graumelierte telefonierte. Vermutlich mit Frau Nummer 4.

Nicht weniger spannend ein Paar am Ende des Raumes. Der Mann leider mit dem Rücken zu uns, aber die Frau sehr attraktiv, gut sichtbar. So blieb nicht lange verborgen, dass sie den ganzen Abend über nicht ein einziges mal lächelte. Sie guckte sogar sehr unglücklich und stocherte schweigsam in ihrem Essen rum. Was war da los? Warum geht man an Heiligabend zu Zweit essen, wenn man sich offensichtlich nichts zu sagen hat? Sie tat uns leid. Eigentlich sie beide. Wir vermuteten, dass sie im Auto auf den Herfahrt Streit gehabt haben müssen. Da nun keiner nachgeben wollte wurde eben geschwiegen. Traurig.

Ingrids Frauchen speiste einen weihnachtlichen Salat und ergriff die Chance, die traurige Blondine lautstark an ihren Tisch zu bitten, gleich nachdem der Mann für einen Klogang den Gastraum verließ. Ich dachte ich höre nicht richtig, als sie laut und frei raus mit diesem wunderschönen österreichischen Akzent aussprach, was wir alle nur dachten. Sie bekundete ihr Mitleid und dass eine so schöne Frau doch nicht so traurig und schweigsam diesen Abend verbringen dürfe. Die Blondine wäre ebenfalls gern im Erdboden versunken und bedankte sich höflich für die Einladung, die sie aber ablehnte. Ich konnte da gar nicht hinschauen. Erst als der Mann zurück kam, verlagerte Ingrid ihren Fokus auf uns. Und so erfuhren wir nun endlich, dass der Mann am Tisch tatsächlich einer ihrer zwei Söhne sei. Der Zweite sei der „Direktor“ dieser Almhütte. Ah, ok. Die Mutti vom Chef also. Das erklärte vieles. Die junge Frau vom Nachmittag sei eine der beiden Töchter gewesen. Die Kinder seien gut gelungen, nur mit Ingrid sei es anstrengend. Die mache grad was sie wolle. Ingrid ist übrigens ein Rüde der Artis heißt. Dann fragte sie kurz unser Eckdaten ab und nutzte einen Moment in dem wir alle abgelenkt waren, weil der DJ vom Nachmittag sich ins Gespräch mischte. Er saß schon ne Weile bei Ingrids Frauchen und Sohn mit am Tisch. Netzwerkarbeit vom Feinsten. Mit der Mutter vom Chef muss man sich gut stellen.

Frauchen nutzte also den Moment da der DJ sich als Singer&Songwriter outete und setzte sich tatsächlich und selbstredend ungefragt zu der traurigen Blondine und dem dazugehörigen Mann an den Tisch. Und dann startete sie eine Eheberatung par excellence. Mir entglitten alle Gesichtszüge. Ich hatte auch schon betrunken mit meinem Dienstausweis beim Osterfeuer verstörte Jugendliche nach dem Personalausweis gefragt, aber was Ingrids Frauchen sich da leistete war schier unfassbar. Sie überschritt eine Grenze, vom Personal wohl bemerkt, aber niemand intervenierte. Der Mann der traurigen Blondine verließ dann den Tisch und wandte sich hilfesuchend ans Personal. Der Sohn der nicht Direktor war, nahm sich dann seiner Mutter an. Auch irritierend, dass Mutter und Bruder nicht beim Direktor und dessen Familie feierten, wohl aber in seinem Laden. Teil des Gesamtproblems, nehme ich an.

Der Abend endete für uns wo er begann. Im Wintergarten am Panoramafenster. Die Männer schmusten noch rum, wir Frauen blieben bei Wein. Der Mann der traurigen Blondine gab irgendwann dem Personal ne Magnumflasche Wein aus, welche auch promt geöffnet und gemeinsam getrunken wurde. Nun sah man auch die traurige Blondine mal lächeln. Die Großfamilie zog bei Zeiten ab. Wer da mit wem ins Bett ist, hätte mich wirklich brennend interessiert. Gegen Mitternacht gab Chiara Ohoven uns ne Runde Eierlikör aus. Ein eleganter Rauswurf, aber nett verpackt. Reichte auch.

Ich habe mir Heiligabend mit meinem Liebsten und ohne die Kinder wirklich anders vorgestellt, aber es war großartig. Mit wildfremden Menschen so viel gelacht wie sonst nur im Büro. Ich sitze hier noch immer kopfschüttelnd und lachend, wenn ich an dieses 4**** Panoptikum denke.

Die Absurdität des Absurden

Es trug sich zu um die Herbstferien. Ich hatte die erste Woche Urlaub und wir wollten verreisen. Ich hatte zuvor online ein Klamöttchen geordert, in der Hoffnung, es käme rechtzeitig, um mich auf meiner Reise zu begleiten. Ein sicher schöner Start für unsere dann noch sehr junge Beziehung. An einem Samstag sollte es los gehen und Donnerstag wurde ich wegen des Fernbleibens des Klamöttchens langsam kribbelig. Am Freitag dann eine Überraschung im Briefkasten. Es hatte bereits Mittwoch einen Zustellversuch gegeben. Mittwoch! Im Ernst?

Ich hatte mir Mittwoch für die Reisevorbereitungen frei genommen. Wegen erhöhtem Terminaufkommen im Büro passt nur dieser Tag. Freitag wäre mir natürlich lieber gewesen. Egal. Ich entnahm diese Info einer entsprechenden Benachrichtigungskarte, die hübsch verpackt und sogar frankiert in einem Umschlag auf mich wartete. Was war geschehen? Angeblich hatte der Zusteller um 12:37 Uhr versucht das Paket an die Frau zu bringen. 12:37 Uhr habe ich geputzt, gekocht oder gepackt. Was auch immer- ich war auf jeden Fall zu Hause! Keine Ahnung wo er geklingelt hat, bei mir ganz sicher nicht. Theoretisch müsste also um 12:38 Uhr besagte Benachrichtigungskarte im Briefkasten gelegen haben mit dem Hinweis: Sorry Schnecke, warst nicht da. Paket jetzt in der Filiale am Arsch der Welt. Sei nicht traurig, nächstes Mal klappt es wieder. Aber nichts da! Der Pfosten hat also nicht nur nicht geklingelt, er hat auch noch vergessen mir die blöde Karte einzuwerfen, die seinen vergeblichen Bemühungen Anerkennung gezollt hätte und mich zur Abholung bemächtigt. Offensichtlich ist es ihm am Ende des Arbeitstages aufgefallen: Oh, Schnecke hat keine Karte bekommen, na dann fix verpackt das Teil und ab auf den Postweg damit.

Was stimmt denn mit dem nicht? Ich bin immer nett wenn wir uns sehen. Ich erwarte ihn nicht in Unterwäsche auf halben Wege im Treppenhaus mit Kuchen und Wein dabei, aber ich bin nett. Warum tut er mir sowas also an? Alles Jammern und fluchen nutzte selbstredend gar nichts. Es war Freitag. Es war kurz vor 18:00 Uhr. Die Filiale würde am Samstag um 9:00 Uhr öffnen, aber da wollten wir schon auf der Autobahn sein, um vor allen anderen im Stau zu stehen. Mein neues Klamöttchen würde also nicht mit mir verreisen und wir würden uns auch nach meinem Urlaub nicht sehen. Dann nämlich wären die 7 Werktage längst vorbei, die die Filiale das Paket für mich aufbewahren würde. Was also tun? Ich ruf da an! Ich bitte einfach ganz nett darum das Paket etwas länger für mich aufzubewahren. Perfekt. Telefonnummer? Schwierig. Auf der Karte stand keine. Im Internet aber eine gefunden. Eine Servicenummer zwar, aber die einzige die sich finden ließ. Dort nach 10 Min. Telefonmenü dann endlich ein richtiger Mensch am anderen Ende. Mein Problem kurz geschildert erwartete ich ein: Ach Schnecke, auf deinen Anruf haben wir schon gewartet. Ich gebe der Filiale bescheid. Mach dir keinen Kopf, das Paket wartet auf dich. Aber nein, der Typ am anderen Ende teilte mir mit, er habe leider keine Möglichkeit die betreffende Filiale zu informieren. Bitte? Die Filiale gehört aber schon zum Unternehmen oder? Ja gehört sie und trotzdem. Ich möge mir die Nummer der Filiale bitte im Internet raussuchen. Ich war kurz vor der totalen Eskalation. Ich habe die verfickte Scheißnummer der Filiale am Arsch der Welt bereits gesucht, gefunden und auch angerufen. Und wer war dran, du Pisser? Du! Ich erkläre es Ihnen auch gerne noch ein drittes Mal, sagte der dann scheißfreundlich, aber ich kann da nichts für Sie tun. Dann habe ich aufgelegt und kurz die Beherrschung verloren. Nur verbal versteht sich. Das kann doch alles nur ein Gott verdammter Scherz sein! War es aber leider nicht.

Das Ende vom Lied war, dass ich meine Freunde darum bat, dass wir Samstag doch erst später starten und uns am besten vor der Filiale treffen sollten. So haben wir es dann auch gemacht. Wir standen unfassbar lange im Stau, haben insgesamt doppelt so lange gebraucht wie normal  und Klamöttchen war die Enttäuschung meines Lebens.

Und warum das alles? Weil mein Paketbote mich nicht leiden kann!

Liebesbrief

Wenn du doch nur wüsstest wie sehr ich dich genieße, wie sehr seit dir Leben durch meine Adern strömt, wie viel ruhiger ich schlafe, wenn du neben mir liegst, wie viel ehrlicher mein Lachen ist, wenn du mich dazu bringst, wie sehr ich mich hinterfrage, wie viel mehr ich ich bin, weil ich nun habe, was immer schon gefehlt hat.

Wenn du doch nur wüsstest wie angekommen, geliebt, begehrt, gehalten, verstanden, gespiegelt und geborgen ich mich fühle seit wir passiert sind. Wie viel weniger dunkel, tief und bedrohlich die Täler sind, wie viel seltener ich falle, wie viel weniger schmerzhaft aufreißende Wunden sind, wenn du deine Hand darauf legst. Wie viel ruhiger ich bin, wenn die Stürme kommen und wie viel klarer ich bleibe, wenn der Nebel mich fest umhüllt.

Wenn du das Alles doch nur wüsstest.

Gleichgewicht oder dynamische Konstans im Sinne beweglicher Beständigkeit

Warum ist es so schwierig in selbiges zu gelangen bzw. dort zu verharren? Oder ist das eine gar schwieriger als das andere? Ich vermute dies beurteilt jeder individuell. Ich z.B. habe mich gerade erst auf den Weg gemacht um herauszufinden was mir zu Gleichgewicht verhilft. Spannend auch die Frage danach, wie man Gleichgewicht definiert. Primär wohl mit Ausgeglichenheit, Ausgewogenheit und Stabilität. Etwas physikalischer betrachtet bezeichnet es den Zustand eines Körpers in welchem die entgegengesetzt wirkenden Kräfte einander aufheben. Runtergebrochen auf meine persönliche kognitive Verständnisebene also das Ausbalancieren von Gegensätzlichkeiten oder gar der Wegfall alter, entgegengesetzt wirkender Kräfte woraus etwas neues entsteht? Oder bezeichnet Gleichgewicht per Definition im Ergebnis einen statischen Zustand eines sonst dynamischen Systems? Diese bedeutungsschwangere Sichtweise sagt mir als Systemikerin natürlich besonders zu, wirft aber Fragen auf: Brächte Gleichgewicht also Statik in die Dynamik und wäre dies gleichbedeutend mit Stillstand?

Dieser sagenumwobene Zustand nach welchem es uns allen gelüstet- Gleichgewicht. Leicht spirituell aber bitte ja nicht esoterisch angehaucht in gleicher Erwähnung mit Gelassenheit, innerer Ruhe, Zufriedenheit und Selbstachtsamkeit. (Wäre dies ein Instabeitrag, fielen mir unzählige Hashtags ein.) Ich komme an dieser Stelle selbstredend nicht umhin mich zu fragen, ob dies alles neumoderner Kram ist. Meine Mutter hatte sicher keine Zeit für #innerebalance #feelthebalance #loveyourself #mindfulness. Eher so #grundversorgung #allesuntereinenhutkriegen #alltagmusslaufen #funktionierenhilftueberleben. Wenn also kein neumoderner Mumpitz, was dann? Haben wir uns in den letzten Jahren bewusst mehr in den Focus genommen, entgegen der Schnelllebigkeit und der „höher-schneller-weiter-Mentalität“? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem. Für alles gibt es Swamis, Gurus, Trainer, Coaches, Bücher, Seminare, Blogs und Podcasts. Allerdings sind aus meiner Sicht die Grenzen zwischen Abzocke und seriöser Lebensberatung hauchdünn. Zudem frage ich mich ob all diese meine-Weltverbesserer und Lebensverschönerer selbst im Gleichgewicht sind. Ich stelle es mir furchtbar anstrengend vor ein gut laufendes Yogastudio zu leiten oder Großveranstaltungen zum Thema: „Werde Manager deines Lebens“ zu organisieren und durchzuführen. In beiden Fällen klingelt es in der Kasse. Vielleicht hält dies im Gleichgewicht, im materiellen. Sind diese Gleichgewichtsarchitekten also im Zustand des wohltuenden Stillstandes (Um mal wieder auf das Definitionsgewirr zurückzukommen) wo doch Stillstand laut Herbert G. der Tod sein soll? (Warum sagt der sowas eigentlich und bringt mich damit gedanklich schon wieder vom rechten Weg ab? Was bringt denn entsprechend dieser Betrachtungsweise das Gleichgewicht aka den Stillstand zum Sterben? Am Ende also doch die sich aufhebenden, entgegengesetzt wirkenden Kräfte eines Körpers? Danke Herbert, das macht es jetzt nicht einfacher!)

Was aber bringt mich denn nun in diesen von den Medien als seelenschmeichelnden, gelassenen und sehr erstrebenswerten Zustand gepriesenen lebensverschönernden Persönlichkeitsolymp? Will ich da überhaupt sein? So ohne Anleitung eines Coaches oder Gurus? Ich lasse mich lieber durch die Erfahrungen anderer Suchender inspirieren. Und auch diese gedanklichen Irrfahrten helfen mir. Dieses Zerdenken von einfachsten Sachverhalten zeigt mir am Ende zumindest was mich erfahrungsgemäß AUS dem Gleichgewicht bring und da minus und minus plus ergibt, bin ich mit diesem Ausschlussverfahren doch auf der sicheren Seite, denn was unterm Strich bleiben wird, dürfte dann wohl gleichgewichtszuträglich sein.

Und so ist es mein erklärtes Ziel, mich zukünftig wie eine Seiltänzerin (übrigens der aktuelle Berufswunsch meines Sohnes. Er hats verstanden!!!) im Gleichgewicht bleibend, durch meine Welt zu bewegen. Durch sich einander aufhebende, entgegengesetzt wirkende Kräfte in eine „Balance des Neuen“ kommend. Was auch immer diese Balance ausmacht und nährt. Sicher nichts wofür Buddha den „gefällt mir-Button“ drücken würde, aber den Anspruch habe ich auch gar nicht. Ich wünsche mir mehr Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit, zwischen meinen doch häufig variierenden Stimmungen und zwischen tun müssen und wollen dürfen. Kein Überhang mehr in einzelnen Bereichen, keine bzw. weniger (kleine Brötchen backen Mädchen) statistische Ausreißer, aber bitte auch keine Nulllinien.

Eher dynamische Konstans im Sinne beweglicher Beständigkeit.

Aufruhr im limbischen System

Ich weiß gar nicht mehr genau womit der Gesamtmist begann. Womit der Etappenmist begann weiß ich noch sehr genau.

Der Gesamtmist erschien gemeinsam mit der 4 vor der 0 auf der Bildfläche. Dieser interne aber auch externe Druck etwas verändern zu müssen. Gesünder leben, bewusster leben, entschleunigen, zurück zum Wesentlichen. Tief in mir drinnen begehrte da ja bereits seit längerem etwas auf und ich war nun endlich soweit hinzuhören. Neben dem relativ spontanen Entschluss nicht mehr Rauchen zu wollen (Etappenmist), war da auch der Entschluss mal einen kompletten Check up beim Arzt machen zu lassen. Ein Freund hatte mir berichtet, dass bei seinem Check up die Modelqualitäten seiner Leber entdeckt worden seien und beide entsprechende Lobhudelein ernteten . Das wollte ich nun auch. Bewunderung für meine Halswirbel oder meine Eierstöcke! Da die Rauchentwöhnung die wohl blödeste Idee aller Zeiten war, hatte ich wegen allgemeinem Unwohlseins nun also Grund genug einen Termin beim Hausarzt zu vereinbaren. Mich plagten unfassbarer Schwindel, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und schlechte Laune. Wobei die schlechte Laune will ich mal nicht auf den Entzug schieben, denn die habe ich ja eigentlich immer. Ich kenne Drehschwindel, ich kenne es wenn mir schwarz vor Augen wird beim Aufstehen, aber diesen dauerhaften Schwindel, so penetrant wie ein Ohrwurm von Namika, den kannte ich bislang nicht. Alles was mein heimischer BTM-Schrank so her gab habe ich selbstredend probiert, aber es half einfach nichts. Aufkommende Panik konnte ich nicht mehr klein reden. Immer wieder versicherte mir mein Außen, dass dies völlig normal sei wenn man das Rauchen aufgibt, aber ich konnte das in Gänze nicht glauben.

So gab ich also brav Urin und Blut ab und berichtete dann im Arztgespräch von eben diesem Schwindel. Mein Hausarzt, der Mann einer Bekannten, veranstaltete den üblichen Zirkus und am Ende stand auf der Erkenntnisseite nicht mehr als ein Blutdruck von 90/55. Sicher kein Spitzenwert. Hatte mich doch das Nervengift Nikotin die letzten 25 Jahre verlässlich auf zumindest 110/60 gepushed. Das könnte miteinander zusammenhängen meinte der Doc, wollte aber eines nicht unerwähnt lassen: MRT. Zack. Da waren die bösen 3 Buchstaben. Dann fielen Worte wie Aneurysma und Tumor und das es ja nur zur Sicherheit wäre. Bitte was? Hatte der sie noch alle beieinander? Mir war schwindlig. Niemand hatte hier von Wahnvorstellungen oder plötzlich vorhandenem Wissen im Bereich der hohen Mathematik gesprochen. Keine Inselbegabung. Nein! Ich lehnte dankend ab nahm aber eine Überweisung zum Kardiologen mit. Dank Überweisung mit einem entsprechenden Dringlichkeitscode versehen, erhielt ich tatsächlich für innerhalb der nächsten 3 Wochen einen Facharzttermin. Das beeindruckte mich heimlich. Die bösen 3 Buchstaben verdrängte ich.

Was sich nicht verdrängen ließ war dieser Schwindel. Ich sah mich nicht in der Lage zu arbeiten und auch nicht in der Lage mein Kind zu versorgen. In meinem Kopf war schwer was los und das meint nicht den Schwindel. Es war eher das Aufbegehren der Amygdala, die ununterbrochen Panik im gesamten Hirn verbreitete. Abscheuliche Gedanken. Und so litt nicht nur mein Körper sondern auch noch meine Psyche. Ich war 100x kurz davor mir eine Zigarette anzustecken, einzig um zu schauen ob es dann besser wird. Ich war so getrieben von der Angst, dass dort in meinem Kopf etwas wächst was da nicht hingehört und zudem macht, dass es mir so schlecht geht, dass ich ein paar Tage später, nach einer morgentlichen Panikattacke im Büro, wieder zu meinem Hausarzt fuhr. Er wirkte nicht weniger hilflos als ich. Urin und Blut waren ohne Befund, Blutdruck weiterhin im Keller. Ein zwischenzeitlicher Termin beim Orthopäden brachte die Gewissheit, dass es von der Halswirbelsäule nicht kam. Was zum Teufel war nur los mit mir? 2 Wochen Rauchentwöhnung und ich litt wie ein Schwein. Veganer mögen diese Metapher verzeihen. Und so verließ ich diese Praxis mit einem blutdrucksteigernden Medikament, mit einer Überweisung zum Neurologen, mit einem Krankenschein und einer weiteren Überweisung: zum MRT. Ich hatte keine Ahnung wie ich die Wochen, die sicher vergehen würden, bis ich einen Termin bekam überstehen sollte. Ich fuhr nach Hause, bestellte mein Medikament vor und telefonierte Praxen ab. Immer wieder kriegte ich Heulkrämpfe, weil ich mich so schlecht fühlte, keine Ahnung hatte wie es weitergehen sollte und mich die Scheißangst vor dieser Röhre samt der damit einhergehenden Diagnose fast in den Wahnsinn trieb.

Ich weiß nicht welcher Art von Fügung ich es verdankte , aber ich erwischte eine große radiologische Praxis, die für den nächsten Tag einen Termin frei hatte, aufgrund der Absage eines anderen Patienten. Ich freute mich ehrlich und war dankbar, dass nun bald Gewissheit herrschen würde. Diese Freude hielt nur kurz bevor es im limbischen System wieder rund ging. Ich rief heulend meine Mutter an und muss sie in große Angst versetzt haben. Sie versuchte mich zu beruhigen und irgendwann beruhigte ich mich tatsächlich. Nämlich als ich meinen Sohn von der Schule holte. Zu Fuß und bei 26 Grad. Mein Kopf fühlte sich an als würde mein Hirn bei jedem Schritt an den Schädel knallen. Aber ich schaffte das. Mütter schaffen sowas. Ich bat einen Freund mich am nächsten Tag zu begleiten. Die Vorstellung diesen Weg nicht allein gehen zu müssen fühlte sich gut an und außerdem sah ich mich wenig dazu im Stande Auto zu fahren. Am nächsten Morgen brachte ich meinen Sohn zur Schule, übergab mich, kaum dass ich wieder daheim war und hatte nur noch wenige Tränen zum heulen übrig. Meine Augen fühlten sich ganz klein an. Diese Art von Beschwerden konnten nicht vom Nikotinentzug kommen. Also musste es was anderes sein. Die Medikamente zur Blutdrucksteigerung wirkten nicht. Damit war klar, dass es auch nicht am Kreislauf liegen konnte. In meinen hypochondralen Überlegungen konnte es somit nur ein kindskopfgroßer Tumor sein. Vielleicht hatte ich den schon lange und er war schuld an all meinen Entgleisungen. Dies schien mir schlüssig. Ich war gar kein schlechter Mensch, ich habe lediglich einen Tumor der alles was fürs Gutmenschentum nötig ist leider abdrückt. So wie bei vielen Chemnitzern auch. Ich schweife ab…

Der Termin war um 11:45 Uhr. 11:30 Uhr sollte ich da sein und um 11:00 Uhr wollte Christoph mich abholen. Nicht einen Moment hatte er gezögert ob meiner Anfrage auf Begleitung. Ich schaffte es tatsächlich noch zu duschen. Ein Deo ließ ich weg. Beziehungsweise entschied mich bewusst für eines ohne Aluminium. Ich wollte in der Röhre ja schließlich nicht zerfetzt werden weil ich metallische Achseln mitbrachte. Kurz nach 11:00 Uhr klingelte Christoph. Die Begrüßung war unsicher. Er wirkte unsicher. Er wusste ja auch nicht was ihn erwartet. Das heulende Elend vom Abend zuvor? Optisch sicher ja, aber doch relativ gefasst war ich dankbar für die Ablenkung. Wir tranken noch einen schnellen Kaffee zusammen, sprachen über Gott und die Welt und dann ging es los. 10 Min. später standen wir vor der Praxis. Es war voll. Massenabfertigung. Na ganz toll. Dabei hatte ich mir meinen eigens für mich abgestellten Mentalcoach erhofft. Stattdessen musste ich eine Datenschutzerklärung unterschreiben und einen Anamnesebogen ausfüllen. Eine der Frage war, ob ich metallische Gegenstände in oder an mir trage. Kurze Panikattacke. Nicht wegen des Deos, da war ich ja auf der sicheren Seite, aber ich trage ein Hightechverhütungsmittel aus Kupfer und habe gefühlt 45 Zahnkronen aus Metall. Ich wandte mich an die Sprechstundenhilfe die nur unsicher mit den Achseln zuckte und meinte: schreiben Sie es auf. Jaaaaa, das tue ich aber wird es Gott verdammt nochmal auch jemand lesen? Arbeiten hier Ärzte? Sind Radiologen überhaupt Ärzte? Liest irgendwer die 250 Anamnesebögen die hier täglich so reinflattern? IRGENDWER? Wo ist mein Mentalcoach? Ich will hier weg! 5 Min später lag ich in der Höllenmaschine. Mein wartender Freund hatte genauste Anweisungen was zu tun wäre wenn Schule oder Ganztagsbetreuung anriefen. Er ertrug mich und diesen Wahnsinn mit einer unendlichen Gelassenheit für die ich ihm für immer zu tiefst dankbar sein werde. Die MTA am MRT war vielleicht 20. Ich fragte so normal wirkend wie es nur ging, ob mir irgendwer nach Ende der Untersuchung kurz meine Lebenserwartung in Monaten zurauen könne. Sie meinte, wenn ich etwas Zeit hätte und auch der Arzt etwas Zeit hätte dann könnte ich mit ihm sprechen. Ui, sofort Kopfkino von der scheuen, menschenfremden Spezi der Radiologen. Immer nur im dunklen Kämmerlein auf fremder Leute Amygdalas starrend. Waren sie Patientenkontakte noch gewohnt? Schrieben sie nicht nur Konsiliarberichte? Ich nahm die Herausforderung an und sagte: Ich werde warten bis er Zeit hat. Sprich: ich gehe hier nicht ohne eine zumindest grobe Einschätzung!

Und dann lag ich da. Es war nur halb so schlimm wie befürchtet. Ich steckte nur bis zur Brust in der oben offenen Röhre, sie war hell beleuchtet und ich bekam Kopfhörer auf denen Musik lief. Es waren unterschiedliche Klopf- u. Hämmergeräusche zu vernehmen. Laut, sehr laut. Manchmal passten sie zur Musik bzw. ich versuchte sie übereinander zu bringen. Ich nahm mir fest vor an Schönes zu denken. An meinen Sohn, meine Familie, den Mann den ich liebe und der leider nicht bei mir sein konnte. Wenn die Gedanken zu fröhlich wurden verbat ich sie mir. Das schickt sich nicht im MRT. Gute Laune im Angesicht des Todes schien mir deplatziert. Wurden die Gedanken jedoch zu düster merkte ich wie mir die Ohnmacht die Beine hochkroch. Langsam atmete ich sie weg. Wieder und wieder. Jetzt und hier kein Ergebnis zu bekommen weil aufgrund meiner Hysterie abgebrochen werden musste oder nur kleine gelbe Minions auf den Bilder zu sehen sein werden, weil ich mich bewegt habe- das konnte ich nicht riskieren. Plötzlich wurde es still. Nach 20 Min. war nur noch James Arthur zu hören. Ich hatte es geschafft. Die kleine MTA fuhr mich wieder raus und bat mich nach dem Anziehen im hinteren Wartebereich platz zu nehmen. Ich atmete kurz tief durch und wankte ziemlich benommen in die Umkleide. Danach in den Wartebereich. Ich ging auf die Toilette, winkte auf dem Rückweg Christoph zu mir ran, der am anderen Ende der Praxis saß (nur da hatte er in diesem unsäglichen Strahlenbunker Empfang) und noch bevor er bei mir war öffnete sich die Tür zum natürlichen Lebensraum des scheuen Radiologen: die Tür zum Kämmerlein. Ich wurde namentlich hereingebeten und nahm Platz. Er war groß, Mitte 50 und lächelte. „Es ist alles in Ordnung“…ab da habe ich nicht mehr zugehört und mich gefragt wie er es wohl fände wenn ich ihn umarmen würde. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Aufnahmen auf bestimmt 6 Monitoren. Meine Amygdala. Da war sie also. Und ganz gesund. So wie auch der Rest. Siehe da das scheue Radiologenwesen hatte Humor und erwähnte, dass sogar meine Nasennebenhöhlen frei seien. Na wenn das mal nichts ist. Wir plauderten kurz über die Rauchentwöhnung und auch er hielt solch massive Symptome für möglich. Vom Neurologentermin jedoch riet er mir ab, das dies aus seiner Sicht nicht viel Neues bringen würde. Hat der ne Ahnung. Er mag meinen Wahnsinn ja nicht gesehen haben, dem Neurologen bleibt dies aber sicher nicht verborgen.

Und so verließ ich das Kämmerchen, sank meinem guten Freund in die Arme und heulte erstmal. Ich hörte mich noch sagen: alles gut. Dann sind wir wieder zu mir gefahren, haben noch eine Weile auf meinem Balkon gesessen und er hat mir von seinem Mädchen erzählt. Sehr verliebt der Christoph. Zurecht. Ich merkte wie eine sonderbare Ruhe mich überkam und ich unendlich müde wurde. Bis ich meinen Sohn abholte schlief ich noch 2 Stunden. Als ich wach wurde war meine kleine Welt wieder in Ordnung.

Ich muss das alles noch sortieren. Nach nun schon 3 Tagen mit Medikamenten fühle ich mich besser. On Top hat sich leider eine fiese Erkältung gesetzt und so fällt es mir gerade schwer zu unterscheiden welches Wehwehchen woher rührt, aber insgesamt fühle ich mich besser. Der Check up Marathon ist noch lange nicht vorbei. Es steht noch der Kardiologe auf dem Programm, ggf.der Neurologe, der Gynäkologe und der Dermatologe. Für den Fall, dass ich völlig unbeschadet oder vielleicht nur mit leichten Lackkratzern aus dieser Sache rauskomme, muss ich mir noch was überlegen, denn dies wäre ein Geschenk sondergleichen, welches gebührender Dankbarkeit bedarf. Wie und in welcher Form…ich werde berichten. Klar ist jedenfalls: mit allem was man rauchen kann bin ich durch!

Heilsteine für Nazis

…weil es mir sicher nie gelingen wird jeden so anzunehmen wie er ist und auch weil ich erlebe, dass die, die danach am lautesten schreien es nicht können, versuche ich es nicht länger. Ich will nicht jeden so nehmen wie er ist und schon gar nicht die, die nicht im Ansatz versuchen mich zu nehmen wie ich bin. Ich will es nicht, weil mich ankotzt wie manche sind. Das ist die einfachste und einzige Erklärung.
Ich will nicht länger versuchen in jedem das Gute und Wertvolle zu sehen, weil ich zu selten erlebe, dass aus dieser Richtung auch auf mich geblickt wird. Ich will das alles nicht mehr und ich muss das auch nicht länger wollen. Einzig auf mich gucken will ich und wer auf mich nicht schauen will, der sollte auch nicht länger hinsehen. Vielleicht hilft ja der Blick weg von mir dabei mal auf sich selbst zu schauen.
Ich habe keine Lust mehr auf oberflächliche Rechtfertigungen in Ermangelung ehrlicher Selbstreflektion an deren Ende einzig die Schuldzuweisung mit Blick aufs Außen stehen kann. Das ist einfach. Ich weiß. Und einfach ist verführerisch. Wenn ich bislang so war, dann weiß ich heute ich will so nie wieder sein. Manchmal bedarf es einer paradoxen Intervention um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
Die hohe Kunst ist wohl die gezielte und reflektierte Auseinandersetzung mit sich selbst. Nicht Mutti ist schuld, nicht die Flüchtlinge, nicht die beste Freundin, nicht die schlechte Kindheit, aber zugegebener Maßen vielleicht die Nazis. Der Kreis schließt sich immer bei mir selbst und das habe ich nun verstanden. Er ist so wunderbar leicht der Gedanke daran, nicht allen gefallen zu müssen um mir selber zu gefallen. Süchtig nach Anerkennung, die so vehement eingefordert wird, dass es körperlich schmerzt. Dieser Schmerz umtreibt ja nicht nur den Süchtigen, sondern auch den Coabhängigen, der gehalten ist diese Sucht zu bedienen. Immer zugegen und ein Fass ohne Boden.
Viel spannender scheint da das Experiment des Nichtgefallens, des Dagegenhaltens und der Selbstliebe in Verbindung mit gesunder Ignoranz, vielschichtiger Toleranz und einem Säckchen voll mit Heilsteinen. Ich sollte hunderte dieser Säckchen abfüllen und unter Anderem in Chemnitz verteilen. Verbunden mit Stirnküssen und personalisierten Mantras. Paradoxe Intervention hat ja auch mir auf den rechten Weg verholfen…aber nein: genau so will ich ja nicht mehr sein…jeden so nehmend wie er ist. Also doch keine Heilsteine für Nazis und stattdessen ein klares: Scheiß auf euch!

Tofupralinen im Kakao-Quinoamantel

Irgendetwas liegt in der Luft (…und es sind nicht die Tofupralinen). Ich kann es noch nicht greifen. Veränderung? Pfui Spinne!

Seit dem 13.8.18 habe ich meinen Nikotinkonsum deutlich gedrosselt. Ich versuche auf der Arbeit gar nicht mehr zu rauchen und am heutigen Sonntag habe ich lediglich 2 Zigaretten gehabt. Ich habe viel über Tabakersatz gelesen um das geliebte Ritual des selber Drehen nicht ganz aufgeben zu müssen. Zudem einen Vaporizer gekauft, um all die georderten exotischen Kräuter irgendwann auch noch möglichst schonend konsumieren zu können. Kein Paper mehr und nichts was verbrennt. Wenn das alles mistig schmeckt dann koche ich mir Tee daraus. Auch fange ich an über meine Ernährung nachzudenken. Ganz im Ernst. ICH! Ich bin verstört. Was das ganze krönte ist meine fast schon fanatische Suche nach einem Buch welches mir ein guter Freund vor bestimmt 15 Jahren schenkte. Ich habe es verliehen und weiß nicht mehr an wen und wie das Buch hieß, weiß ich schon gleich gar nicht mehr. Es handelt von einem Mann der von seinen (Selbst)Erfahrungen in einem indischen Ashram erzählte. So und nun dürfte wohl deutlich werden warum ich mir Sorgen um mich mache. Was kommt denn bitte als nächstes? Sport? Meditation? Gott bewahre.

Und so liegt der Schluss nahe, dass es die Entzugserscheinungen sein müssen. Mein Körper erhält sein liebstes Nervengift nur noch in homöopathischer Dosis und dass er darauf mit Verwirrungszuständen reagiert erscheint nachvollziehbar. Der Entzug ist in der Tat hart. Ich bin permanent müde und völlig erledigt. Habe heute morgen geputzt und musste dann erstmal aufs Sofa. Aber auch das soll ja besser werden. Noch ne Woche im Büro den Kopf auf den Schreibtisch legen und wehleidig vor mich hin grummeln, verzeiht mein Kollege mir sicher nicht, wobei er wahrlich große Geduld bewiesen hat und mich immer wieder bei Impulsdurchbrüchen davon abhielt mir eine anzustecken. Mitten im Büro. Ich war kurz davor.

Wo aber kommt jetzt dieser healthy Trip her für den ich andere offen auslache? Erzeugt weniger Nervengift klarere Gedanken? Hat das Rauchen mir etwa das Hirn vernebelt? Hatte mit 23 so eine indisch angehauchte spirituelle Phase bereits schon mal. Ein Revival etwa? Keine Ahnung. Vielleicht ist es auch nur die Lust auf die Erfahrung eines rauchfreien Lebens. Der kleine Schwangerschafts-u . Stillzeitbreak zählt nicht und ist kaum erinnerbar. Und so blicke ich auf round about 25 Jahre als Raucherin zurück. Also noch blicke ich auf gar nichts zurück außer vielleicht auf ein paar leidvolle Tage mit weniger Stoff. Von Nichtraucherin kann keine Rede sein. Ich bin aber diesmal durchaus willens es zu schaffen und freue mich auf all die positiven give aways der Rauchentwöhnung: sich regenerierende Geschmacksnerven, mehr Vitalität und Energie, schönere Haut, wallendes, glänzendes, kraftvolles Haar, kaum sichtbare Falten, aus Wasser Wein machen können und bilinguales Träumen…ich werde berichten.

Sollte ich allerdings anfangen selbstgemachte Tofupralinen im Kakao-Quinoamantel oder mich in Sportklamotten (die ich in einem Studio und nicht aus Langeweile in der Umkleidekabine trage um zu sehen ob mir sowas steht) auf Instagram zu posten, dann bitte bringt mir eine selbstgedrehte Zigarette, denn dann ist Eile geboten…;)

ADS, ADHS, ASS und ATS

In Zeiten da der Trend ganz klar zur Diagnostik geht, möchte ich natürlich auf diesen Zug mit aufspringen. ADHS hier, Autismusspektrum da, aber bislang völlig außer Acht gelassen: dass Arbeitstourettesyndrom kurz ATS. Tourette im Allgemeinen dürfte bekannt sein. Der Unterschied zum ATS: dieses tritt nach Betreten des Büros auf und endet mit dessen verlassen. ATS tritt in schillernder Vielfalt auf. Besonders bei mir. Häufig zeigt es sich in spontanen verbalen Entgleisungen gepaart mit hektischen, fast kampfsportlich anmutenden Gesten. Auch Ticstörungen und Zwangshandlungen gehen mit dem ATS einher. So ist es nicht selten der Fall, dass die spontanen verbalen Entgleisungen eingepflegt sind in mainstreamige Melodien wie z.B. in die aus „Thunder“ von den Imagine Dragons . Das klingt dann ungefähr so: Fuck you! Fu fu fuck you. Fu fu fu fu fuck you…usw. gerade dieses Lied eignet sich hervorragend für vielerlei offene Botschaften, ist aber ebenso ein perfekter Begleiter für Gespräche (gern kollegiale Fallberatungen) in denen man leise in sich hinein summt: Blödmann! Blö blö blödmann. Du bist so ein Blödmann!

Eine häufige Erscheinungsform, besonders zu beobachten bei Kollegen die frisch aus dem Urlaub zurück sind, ist selbstverletzendes Verhalten. Unkontrolliertes Kopf auf den Schreibtisch schlagen, fast schon ticartiges sich gegen die Stirn hauen und nicht zu vergessen der gute alte Tremor in Verbindung mit Selbstkasteiung mittels spitzem Bleistift. Auch Geräuschtics sind beliebt: schniefen, schnäuzen, räuspern, glucksen oder rhythmische Flatulenzen.

Während die Störung sich bei einigen erst um die Mittagszeit zeigt, taucht sie bei mir bereits morgens beim Verlassen meines Autos auf dem Parkplatz auf. Zunächst ist es nur hochfrequentiertes Fluchen à la: Kackscheiß, was mach ich hier schon wieder? Begleitet von einem Tritt gegen die Eingangstür. Dabei beobachtet vom Chef und von ihm kommentiert mit einer langsam sich hochziehenden Augenbraue (meist die rechte) folgt ein gemurmeltes: Na das geht ja schon wieder verdammt obermistig los heute! Dann am PC der übliche Tremor (linkes Bein) begleitet vom Malträtieren der Computermaus, weil zum tausendsten Mal das Passwort abgelaufen ist. Was stimmt denn mit den Nerds von der EDV nicht? Finden die das lustig?

Und so zieht sich das ATS durch den gesamten Tag, ist hoch ansteckend und gegen Mittag schlurfen hier zuhauf Leute über den Flur (Kollegen UND Klienten wohlgemerkt), die ticen, fluchen, sich weh tun (auch gegenseitig), entgleisen, eskalieren, dekompensieren, kapitulieren, resignieren, flatulieren, fabulieren, negieren, hospitalisieren, rotieren, explodieren, implodieren, karambolieren, sich pikieren und ironisieren.

Geht es gen Feierabend nimmt die Anspannung ab. Wir versammeln uns einer Selbsthilfegruppe anmutend im Stuhlkreis um einen Holztisch herum und reflektieren den Tag. Wir sprechen über unsere Ausfallerscheinungen und Resilienzen. Das dies natürlich nicht ohne anständiges fluchen vonstatten geht, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Und so endet der Tag mit der Erkenntnis, dass wir ausnahmslos alle unter ATS leiden (wenn auch in div. Ausprägungen) und mit einer letzten Tasse Kaffee, die per se ein Statement ist:

…wenn die Eifersucht dich mit Eifer sucht

Mir würden unzählige Wortspiele einfallen, aber die Quintessenz aller wäre: die blöde Kuh! Nicht umsonst ist Eifersucht weiblich. Ich unterstelle, Frauen werden generell eifriger von der Eifersucht besucht. Die Grenze zum Neid allerdings ist fließend, aber darum soll es jetzt nicht gehen.

Das Schlimme an der Dame ist ihr plötzliches, unerwartetes und unangekündigtes Erscheinen. Von einer Sekunde auf die nächste ist sie da, klopft auch nicht an, sondern verschafft sich ungebeten Zutritt. Zum Kopf, zum Herzen und zur Magengegend. Im Moment ihres Erscheinens ist sie selten ein willkommener Gast. Ich schreibe bewusst selten, weil ich von Freunden weiß, die sie mögen. Von ihr profitieren. In Ansätzen kann ich es nachvollziehen, dieses Gefühl der Dankbarkeit für ihren Besuch, der Rückschluss darauf gibt, dass es einem die Projektionsfläche noch wert ist beeifersüchtelt (ein Blick in den Duden lohnt nicht) zu werden. Sprich, solange die Eifersucht noch ab und an hereinplatzt, sind weder Hopfen noch Malz verloren (in Belgien gibt es tolles Bier!). Trotzdem ist sie in meinem Leben ein eher unleidlicher Gast. Sie macht wunderschöne Momente zunichte und reibt sich kichernd die Hände.

Wenn man bedenkt, dass sie nur ein Gast ist, so hat sie doch wahrlich schlechte Manieren. Kommt und geht wann sie will, macht sich breit in allen Gehirnwindungen und verhindert so auch nur den Hauch von Objektivität und Rationalität. Manchmal sogar, bringt sie dreister Weise auch noch Freunde mit. Sind Wut, Kummer und Ent-Täuschung mit an Bord, ist der Karneval der Kuriositäten im Kopf vorprogrammiert. Wenn man Glück hat, ist die Projektionsfläche in der Lage den inneren terroristischen Anschlag im Sinne einer feindlichen Übernahme, mit gezielten Interventionen zu begrenzen oder gar zu unterbinden. Dies allerdings, ist die ganz hohe Kunst! Oftmals neigen Projektionsflächen zum Befeuern des Quartetts. Ob gewollt oder ungewollt sei mal dahingestellt. Es bedarf also eines hohen Maßes an Fingerspitzengefühl der Projektionsfläche, um der eifrigen Eifersucht den Nährboden zu entziehen. Unter Umständen bedeutet dies, sich Lächerlichkeiten, Misstrauen, Vorwürfen und hanebüchenem Hirnschmalz wie ein tapferer Krieger entgegenzustellen. Den Auslöser zu finden, mit Fakten zu relativieren, ggfs. mit der Beweismittelaufnahme zu beginnen, klar zu bleiben und in der akuten Hochphase auf keinen Fall die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Hierfür ist in wieder ruhigeren Fahrwassern noch Zeit genug. Und so entscheidet sich in Bruchteilen von Sekunden oder der Brand gelöscht werden kann oder Öl ins Feuer gegossen wird.

Heikel, heikel.

Ich habe mir vorgenommen, wenn mich die Eifersucht mal wieder mit Eifer besucht, dann werde ich sie willkommen heißen. Meist überrascht sie mich ja nur so, weil sie erstaunlich selten zu Besuch kommt. Also werde ich ab jetzt häufiger mit ihr rechnen. Freunde werden wir ganz sicher nicht, aber vielleicht ist die Dame ja weniger bedrohlich, wenn man sie ab und an auf dem Schirm hat. Ihr freundlich Hallo sagt, aber sie bittet wieder zu gehen, weil es gerade nicht passt.

Mit der Projektionsfläche könnte man einen Leitfaden, Notfallplan oder eine die Beziehung schützende Konvention erarbeiten:

§1 Egal wie lächerlich es für mich ist, ich werde dich ernst nehmen.

§2 Ich werde alles Nötige dafür tun, um die Situation wieder auf ein zumindest sachliches Level zu heben.

§3 Ich werde bereit sein, dir alle für die Problemlösung relevanten Fragen zu beantworten. Geduldig und sachlich bleiben auch bei Wiederholungsfragen.

Salvatorische Klausel: Findet Anwendung im Falle eines BEGRÜNDETEN Besuches der Eifersucht. Dann gilt ausschließlich: Attacke!

Hells Angels gehen nicht zum Zahnarzt

Der Tag begann mit einem Hangover. Schlecht eingeschlafen, weil lange wirre Gedanken im Kopf bewegt, dann schlecht durchgeschlafen und früh wach geworden, weil der Nachbar geräuschvoll ein Haus baut. Habe in Erwägung gezogen ihn zu bitten, dies etwas leiser zu tun. So viel zu guten nachbarschaftlichen Verhältnissen.

Dann will das kleine Gemüse Roller fahren. Zur Verfügung steht aber nur der alte Roller seiner Cousine. Er ist lila mit Blumen drauf. Sagt der Pimpf doch tatsächlich, dass ihm das peinlich wäre. Es folgten lange, hochpädagogische Vorträge darüber, dass es egal sei was andere darüber denken, Hauptsache er habe Spass mit dem Roller. Funktionierte.

Auf in die Shoopingmall, um Klamöttchen für die bevorstehende Einschulung zu kaufen. Relativ schnell und konfliktfrei haben wir etwas gefunden. Ein weißes Hemd wollte er nicht, stattdessen ein blau-weiß kariertes mit dazugehörender Krawatte. Schicke schwarze Hose war auch problemlos zu finden aber auf ein dunkelblaues Jackett hat er bestanden. Ich hätte von mir aus auch gern darauf verzichtet, zumal es Mitte August vermutlich ohnehin zu heiß sein wird um es zu tragen. Aber: gekauft. Er fand sich toll und ich ihn auch. Wieder daheim wollte ich, dass er sich Oma und Opa mal zeigt. Da hatte er aber keine Lust drauf und so konnten wir uns darauf einigen, dass wir dies auf den Nachmittag vertagen. Dann endlich Zeit für Mittagsschlaf!

Lange nicht mehr so ein dummes Zeug geträumt: Bin im Urlaub mit meinem Freund und seinen Söhnen. Zudem ist ein Freund meines Freundes dabei. Kein Geringerer als Frank Hanebuth. Dieser hält mit den zwei Kleinen ein Mittagsschläfchen ab, während mein Freund sich die Zähne putzt. Ich nähere mich mit großer Lust auf Sex und kriege ne Absage, weil er mit den Jungs gleich einen Zahnarzttermin habe. Bitte? Geht auch schnell…so zumindest mein Bemühen, aber er will nicht. Beleidigt ziehe ich ab, wecke dabei Frank und erwähne in nicht jugendfreien Formulierungen was passiert sei. Dann beschließt Frank, dass er auf Zahnarzt auch keine Lust habe und wir gehen zusammen. Wollen uns betrinken. Dann frage ich ihn ernsthaft, ob Frank Hanebuth sein echter Name sei und er lacht mich aus, ob meiner Annahme, in den Chartern würden alle sowas wie „Künstlernamen“ tragen. Es lebe das Vorurteil. Kann ich sogar im Traum hervorragend. Wir kommen also ins Gespräch über die Anfänge der Hells Angels. Woher er meinen Freund kennt scheine ich bereits zu wissen, so retrospektiv wünschte ich, ich hätte ihn gefragt. Vermutlich haben sie sich bei einer Meditation auf dem Mont Blanc kennengelernt. Und dann gibt leider der Häuslebauer von nebenan wieder sein bestes und ich werde nie erfahren wer zu erst betrunken war und was Hanebuth noch so aus dem Nähkästchen, unter uns alten Gebetsschwestern, ausgeplaudert hätte. Mittagsschlaf ist beendet.

Ich erinnere nun den Zwergenmann daran, dass wir Oma und Opa noch die neuen Klamöttchen zeigen wollten. Nur unter Protest zieht er sie nochmal an. Plötzlich bricht er in Tränen aus. Ich, völlig hilflos, frage was denn nun passiert sei, dass er so weine. Es sei ihm peinlich. Das war es wieder. Peinlich! Ich könnte innerlich explodieren und frage mich wo er diesen Scheiß her hat und warum bitte einem fast sechjährigen Dinge peinlich sind? Es wird ungeniert gepupst, gerülpst und gepopelt. Dabei allerdings nicht der Hauch von Peinlichkeit. Nein, sowas erfüllt ihn sogar mit Stolz. Ich verstehe den kleinen Mann nicht. Ist ja nicht so, dass ich ihn ausstaffiert habe wie eine russische Eislaufmutti ihre Prinzessin. Er hat es sich ja alles selbst ausgesucht. Ich erkläre ihm lange und erstaunlich ruhig, dass alle Kinder an diesem Tag so aussehen werden, und dass an diesem Tag Spinnenmannhose und Ninjashirt eher peinlich wären, als schicke Hose und Hemd. Seine Vorbehalte kann ich nachvollziehen, wir sind ja beide eher casual und das nicht nur freitags, aber seinen hysterischen Weinkrampf kann ich nicht verstehen. Nicht im Ansatz. Er beruhigt sich dann aber und wir können uns meiner Parentalgeneration präsentieren. Er sieht wirklich toll aus! Er fragt dann noch leise, ob wir Krawatte und Jackett am Tag der Einschulung weg lassen können und ich sichere ihm das zu. Dass ich mir das Geld hätte sparen können möchte erwähnt werden, bleibt aber unerwähnt.

Mittlerweile meinem Freund von meinem Traum erzählt, und dass mich am meisten schockierte, dass er keinen Sex wollte. Was sagt der ganz trocken: „Ich musste doch mit den Jungs zum Zahnarzt!“

So!