Aufruhr im limbischen System

Ich weiß gar nicht mehr genau womit der Gesamtmist begann. Womit der Etappenmist begann weiß ich noch sehr genau.

Der Gesamtmist erschien gemeinsam mit der 4 vor der 0 auf der Bildfläche. Dieser interne aber auch externe Druck etwas verändern zu müssen. Gesünder leben, bewusster leben, entschleunigen, zurück zum Wesentlichen. Tief in mir drinnen begehrte da ja bereits seit längerem etwas auf und ich war nun endlich soweit hinzuhören. Neben dem relativ spontanen Entschluss nicht mehr Rauchen zu wollen (Etappenmist), war da auch der Entschluss mal einen kompletten Check up beim Arzt machen zu lassen. Ein Freund hatte mir berichtet, dass bei seinem Check up die Modelqualitäten seiner Leber entdeckt worden seien und beide entsprechende Lobhudelein ernteten . Das wollte ich nun auch. Bewunderung für meine Halswirbel oder meine Eierstöcke! Da die Rauchentwöhnung die wohl blödeste Idee aller Zeiten war, hatte ich wegen allgemeinem Unwohlseins nun also Grund genug einen Termin beim Hausarzt zu vereinbaren. Mich plagten unfassbarer Schwindel, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und schlechte Laune. Wobei die schlechte Laune will ich mal nicht auf den Entzug schieben, denn die habe ich ja eigentlich immer. Ich kenne Drehschwindel, ich kenne es wenn mir schwarz vor Augen wird beim Aufstehen, aber diesen dauerhaften Schwindel, so penetrant wie ein Ohrwurm von Namika, den kannte ich bislang nicht. Alles was mein heimischer BTM-Schrank so her gab habe ich selbstredend probiert, aber es half einfach nichts. Aufkommende Panik konnte ich nicht mehr klein reden. Immer wieder versicherte mir mein Außen, dass dies völlig normal sei wenn man das Rauchen aufgibt, aber ich konnte das in Gänze nicht glauben.

So gab ich also brav Urin und Blut ab und berichtete dann im Arztgespräch von eben diesem Schwindel. Mein Hausarzt, der Mann einer Bekannten, veranstaltete den üblichen Zirkus und am Ende stand auf der Erkenntnisseite nicht mehr als ein Blutdruck von 90/55. Sicher kein Spitzenwert. Hatte mich doch das Nervengift Nikotin die letzten 25 Jahre verlässlich auf zumindest 110/60 gepushed. Das könnte miteinander zusammenhängen meinte der Doc, wollte aber eines nicht unerwähnt lassen: MRT. Zack. Da waren die bösen 3 Buchstaben. Dann fielen Worte wie Aneurysma und Tumor und das es ja nur zur Sicherheit wäre. Bitte was? Hatte der sie noch alle beieinander? Mir war schwindlig. Niemand hatte hier von Wahnvorstellungen oder plötzlich vorhandenem Wissen im Bereich der hohen Mathematik gesprochen. Keine Inselbegabung. Nein! Ich lehnte dankend ab nahm aber eine Überweisung zum Kardiologen mit. Dank Überweisung mit einem entsprechenden Dringlichkeitscode versehen, erhielt ich tatsächlich für innerhalb der nächsten 3 Wochen einen Facharzttermin. Das beeindruckte mich heimlich. Die bösen 3 Buchstaben verdrängte ich.

Was sich nicht verdrängen ließ war dieser Schwindel. Ich sah mich nicht in der Lage zu arbeiten und auch nicht in der Lage mein Kind zu versorgen. In meinem Kopf war schwer was los und das meint nicht den Schwindel. Es war eher das Aufbegehren der Amygdala, die ununterbrochen Panik im gesamten Hirn verbreitete. Abscheuliche Gedanken. Und so litt nicht nur mein Körper sondern auch noch meine Psyche. Ich war 100x kurz davor mir eine Zigarette anzustecken, einzig um zu schauen ob es dann besser wird. Ich war so getrieben von der Angst, dass dort in meinem Kopf etwas wächst was da nicht hingehört und zudem macht, dass es mir so schlecht geht, dass ich ein paar Tage später, nach einer morgentlichen Panikattacke im Büro, wieder zu meinem Hausarzt fuhr. Er wirkte nicht weniger hilflos als ich. Urin und Blut waren ohne Befund, Blutdruck weiterhin im Keller. Ein zwischenzeitlicher Termin beim Orthopäden brachte die Gewissheit, dass es von der Halswirbelsäule nicht kam. Was zum Teufel war nur los mit mir? 2 Wochen Rauchentwöhnung und ich litt wie ein Schwein. Veganer mögen diese Metapher verzeihen. Und so verließ ich diese Praxis mit einem blutdrucksteigernden Medikament, mit einer Überweisung zum Neurologen, mit einem Krankenschein und einer weiteren Überweisung: zum MRT. Ich hatte keine Ahnung wie ich die Wochen, die sicher vergehen würden, bis ich einen Termin bekam überstehen sollte. Ich fuhr nach Hause, bestellte mein Medikament vor und telefonierte Praxen ab. Immer wieder kriegte ich Heulkrämpfe, weil ich mich so schlecht fühlte, keine Ahnung hatte wie es weitergehen sollte und mich die Scheißangst vor dieser Röhre samt der damit einhergehenden Diagnose fast in den Wahnsinn trieb.

Ich weiß nicht welcher Art von Fügung ich es verdankte , aber ich erwischte eine große radiologische Praxis, die für den nächsten Tag einen Termin frei hatte, aufgrund der Absage eines anderen Patienten. Ich freute mich ehrlich und war dankbar, dass nun bald Gewissheit herrschen würde. Diese Freude hielt nur kurz bevor es im limbischen System wieder rund ging. Ich rief heulend meine Mutter an und muss sie in große Angst versetzt haben. Sie versuchte mich zu beruhigen und irgendwann beruhigte ich mich tatsächlich. Nämlich als ich meinen Sohn von der Schule holte. Zu Fuß und bei 26 Grad. Mein Kopf fühlte sich an als würde mein Hirn bei jedem Schritt an den Schädel knallen. Aber ich schaffte das. Mütter schaffen sowas. Ich bat einen Freund mich am nächsten Tag zu begleiten. Die Vorstellung diesen Weg nicht allein gehen zu müssen fühlte sich gut an und außerdem sah ich mich wenig dazu im Stande Auto zu fahren. Am nächsten Morgen brachte ich meinen Sohn zur Schule, übergab mich, kaum dass ich wieder daheim war und hatte nur noch wenige Tränen zum heulen übrig. Meine Augen fühlten sich ganz klein an. Diese Art von Beschwerden konnten nicht vom Nikotinentzug kommen. Also musste es was anderes sein. Die Medikamente zur Blutdrucksteigerung wirkten nicht. Damit war klar, dass es auch nicht am Kreislauf liegen konnte. In meinen hypochondralen Überlegungen konnte es somit nur ein kindskopfgroßer Tumor sein. Vielleicht hatte ich den schon lange und er war schuld an all meinen Entgleisungen. Dies schien mir schlüssig. Ich war gar kein schlechter Mensch, ich habe lediglich einen Tumor der alles was fürs Gutmenschentum nötig ist leider abdrückt. So wie bei vielen Chemnitzern auch. Ich schweife ab…

Der Termin war um 11:45 Uhr. 11:30 Uhr sollte ich da sein und um 11:00 Uhr wollte Christoph mich abholen. Nicht einen Moment hatte er gezögert ob meiner Anfrage auf Begleitung. Ich schaffte es tatsächlich noch zu duschen. Ein Deo ließ ich weg. Beziehungsweise entschied mich bewusst für eines ohne Aluminium. Ich wollte in der Röhre ja schließlich nicht zerfetzt werden weil ich metallische Achseln mitbrachte. Kurz nach 11:00 Uhr klingelte Christoph. Die Begrüßung war unsicher. Er wirkte unsicher. Er wusste ja auch nicht was ihn erwartet. Das heulende Elend vom Abend zuvor? Optisch sicher ja, aber doch relativ gefasst war ich dankbar für die Ablenkung. Wir tranken noch einen schnellen Kaffee zusammen, sprachen über Gott und die Welt und dann ging es los. 10 Min. später standen wir vor der Praxis. Es war voll. Massenabfertigung. Na ganz toll. Dabei hatte ich mir meinen eigens für mich abgestellten Mentalcoach erhofft. Stattdessen musste ich eine Datenschutzerklärung unterschreiben und einen Anamnesebogen ausfüllen. Eine der Frage war, ob ich metallische Gegenstände in oder an mir trage. Kurze Panikattacke. Nicht wegen des Deos, da war ich ja auf der sicheren Seite, aber ich trage ein Hightechverhütungsmittel aus Kupfer und habe gefühlt 45 Zahnkronen aus Metall. Ich wandte mich an die Sprechstundenhilfe die nur unsicher mit den Achseln zuckte und meinte: schreiben Sie es auf. Jaaaaa, das tue ich aber wird es Gott verdammt nochmal auch jemand lesen? Arbeiten hier Ärzte? Sind Radiologen überhaupt Ärzte? Liest irgendwer die 250 Anamnesebögen die hier täglich so reinflattern? IRGENDWER? Wo ist mein Mentalcoach? Ich will hier weg! 5 Min später lag ich in der Höllenmaschine. Mein wartender Freund hatte genauste Anweisungen was zu tun wäre wenn Schule oder Ganztagsbetreuung anriefen. Er ertrug mich und diesen Wahnsinn mit einer unendlichen Gelassenheit für die ich ihm für immer zu tiefst dankbar sein werde. Die MTA am MRT war vielleicht 20. Ich fragte so normal wirkend wie es nur ging, ob mir irgendwer nach Ende der Untersuchung kurz meine Lebenserwartung in Monaten zurauen könne. Sie meinte, wenn ich etwas Zeit hätte und auch der Arzt etwas Zeit hätte dann könnte ich mit ihm sprechen. Ui, sofort Kopfkino von der scheuen, menschenfremden Spezi der Radiologen. Immer nur im dunklen Kämmerlein auf fremder Leute Amygdalas starrend. Waren sie Patientenkontakte noch gewohnt? Schrieben sie nicht nur Konsiliarberichte? Ich nahm die Herausforderung an und sagte: Ich werde warten bis er Zeit hat. Sprich: ich gehe hier nicht ohne eine zumindest grobe Einschätzung!

Und dann lag ich da. Es war nur halb so schlimm wie befürchtet. Ich steckte nur bis zur Brust in der oben offenen Röhre, sie war hell beleuchtet und ich bekam Kopfhörer auf denen Musik lief. Es waren unterschiedliche Klopf- u. Hämmergeräusche zu vernehmen. Laut, sehr laut. Manchmal passten sie zur Musik bzw. ich versuchte sie übereinander zu bringen. Ich nahm mir fest vor an Schönes zu denken. An meinen Sohn, meine Familie, den Mann den ich liebe und der leider nicht bei mir sein konnte. Wenn die Gedanken zu fröhlich wurden verbat ich sie mir. Das schickt sich nicht im MRT. Gute Laune im Angesicht des Todes schien mir deplatziert. Wurden die Gedanken jedoch zu düster merkte ich wie mir die Ohnmacht die Beine hochkroch. Langsam atmete ich sie weg. Wieder und wieder. Jetzt und hier kein Ergebnis zu bekommen weil aufgrund meiner Hysterie abgebrochen werden musste oder nur kleine gelbe Minions auf den Bilder zu sehen sein werden, weil ich mich bewegt habe- das konnte ich nicht riskieren. Plötzlich wurde es still. Nach 20 Min. war nur noch James Arthur zu hören. Ich hatte es geschafft. Die kleine MTA fuhr mich wieder raus und bat mich nach dem Anziehen im hinteren Wartebereich platz zu nehmen. Ich atmete kurz tief durch und wankte ziemlich benommen in die Umkleide. Danach in den Wartebereich. Ich ging auf die Toilette, winkte auf dem Rückweg Christoph zu mir ran, der am anderen Ende der Praxis saß (nur da hatte er in diesem unsäglichen Strahlenbunker Empfang) und noch bevor er bei mir war öffnete sich die Tür zum natürlichen Lebensraum des scheuen Radiologen: die Tür zum Kämmerlein. Ich wurde namentlich hereingebeten und nahm Platz. Er war groß, Mitte 50 und lächelte. „Es ist alles in Ordnung“…ab da habe ich nicht mehr zugehört und mich gefragt wie er es wohl fände wenn ich ihn umarmen würde. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Aufnahmen auf bestimmt 6 Monitoren. Meine Amygdala. Da war sie also. Und ganz gesund. So wie auch der Rest. Siehe da das scheue Radiologenwesen hatte Humor und erwähnte, dass sogar meine Nasennebenhöhlen frei seien. Na wenn das mal nichts ist. Wir plauderten kurz über die Rauchentwöhnung und auch er hielt solch massive Symptome für möglich. Vom Neurologentermin jedoch riet er mir ab, das dies aus seiner Sicht nicht viel Neues bringen würde. Hat der ne Ahnung. Er mag meinen Wahnsinn ja nicht gesehen haben, dem Neurologen bleibt dies aber sicher nicht verborgen.

Und so verließ ich das Kämmerchen, sank meinem guten Freund in die Arme und heulte erstmal. Ich hörte mich noch sagen: alles gut. Dann sind wir wieder zu mir gefahren, haben noch eine Weile auf meinem Balkon gesessen und er hat mir von seinem Mädchen erzählt. Sehr verliebt der Christoph. Zurecht. Ich merkte wie eine sonderbare Ruhe mich überkam und ich unendlich müde wurde. Bis ich meinen Sohn abholte schlief ich noch 2 Stunden. Als ich wach wurde war meine kleine Welt wieder in Ordnung.

Ich muss das alles noch sortieren. Nach nun schon 3 Tagen mit Medikamenten fühle ich mich besser. On Top hat sich leider eine fiese Erkältung gesetzt und so fällt es mir gerade schwer zu unterscheiden welches Wehwehchen woher rührt, aber insgesamt fühle ich mich besser. Der Check up Marathon ist noch lange nicht vorbei. Es steht noch der Kardiologe auf dem Programm, ggf.der Neurologe, der Gynäkologe und der Dermatologe. Für den Fall, dass ich völlig unbeschadet oder vielleicht nur mit leichten Lackkratzern aus dieser Sache rauskomme, muss ich mir noch was überlegen, denn dies wäre ein Geschenk sondergleichen, welches gebührender Dankbarkeit bedarf. Wie und in welcher Form…ich werde berichten. Klar ist jedenfalls: mit allem was man rauchen kann bin ich durch!

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