Darf ich das Wort Penis überhaupt öffentlich benutzen? Oder schrillt bei irgendeinem Nerd im Silicon Vallay jetzt das Wort Alert am PC Bildschirm auf? So ist es zumindest bei mir im Büro, wenn ich mal wieder versuche einen USB Stick in den Tower zu stecken. Gruß an die EDV: ich liebe euch und eure Geduld mit mir, aber das nervt richtig!
Apropos reinstecken. Seit nun fast 3 Jahren treibe ich mich wieder auf dem Singlemarkt rum. Meint in meinem Fall, auf dem Sofa zu liegen und Bildchen nach links oder rechts zu swipen, während ich Chips in mich reinstopfe. Die Pandemie hat mir etwas in die Karten gespielt, das muss ich schon zugeben. Soziale Isolation, Abstandhalten und sich diverser Medien bedienen- das ist genau meins, aber wie man sieht, hat es nicht zum Erfolg geführt. Mittlerweile hätte ich auch tatsächlich und ehrlich empfundene Lust auf ein schönes Date. Mehr muss es ja erstmal gar nicht sein. Aber das ist wie Samstagmorgen nach dem Aufstehen zu beschließen: „Heute gehe ich shoppen und ich werde Unmengen an Kohle raushauen.“ Deprimiert und mit leeren Taschen kehrt man zurück, obwohl man es so sehr gewollt hat und wirklich versucht hat. Es war einfach nichts Passendes dabei. So geht’s mir mit diversen Singelapps. Es ist einfach nichts Passendes dabei!
Aktuell schreibe ich mit 3 Herren.
Kandidat 1 ist Lehrer und wirklich attraktiv. Wie er schreibt gefällt mir und wir lachen viel. Allerdings ist er auch sehr ehrlich und hat nicht lange gewartet, bis er mir von seinem großen Penis erzählt hat. Da er die Erfahrung gemacht hat, dass beim ersten körperlich Näherkommen, die meisten Frauen blass werden und die Flucht ergreifen, rückt er mal lieber gleich mit der Sprache raus. Na ganz hervorragend! Und wir reden hier nicht von etwas mehr, sondern vom Format Dachrinne. Da nützen auch seine charmanten Beschwichtigungsversuche nichts, von wegen man könne es ja mal ganz vorsichtig, mit viel Zeit und Liebe probieren. Ähm, nein danke! Mega schade, weil mega nett der Typ und er tut mir fast schon leid. Wird er auf ewig Single und sexuell unbefriedigt bleiben, weil es anatomisch betrachtet kaum eine Frau geben wird die passt? Abgehakt.
Kandidat 2 ist wohl sowas wie Maschinenbauingenieur. Ich habe wirklich versucht zu verstehen was er beruflich macht, aber in Gänze hat es sich mir nicht erschlossen. Er ist mir von den Dreien der Liebste und wir schreiben auch schon am Längsten. Unser Start war besonders schön. Auf seinem Profilbild zeigte er sich mit Mütze und Sonnenbrille und alle weiteren Bilder zeigten nur seinen sehr ansehnlichen, freien Oberkörper. Er begrüßte mich in seinem wahnsinnig kreativen Opener mit einem schnöden : Moin. Allein von solchen Anschreiben schon echt abgenervt und dann noch diese Pornopics on top, verlor ich kurz die Contenance und fragte ihn ob er so hässlich sei, dass er sich zum Balzen auf Oberkörperfotos beschränken müsse. Das fand er scheinbar ansprechend und so begann eine wirklich witzige Konversation. Wir beschlossen dann uns zu einem Spaziergang am Maschsee mit Coffee to go und bunter Tüte zu treffen, haben es aber terminlich noch nicht hinbekommen. Und an mir liegt es diesmal tatsächlich nicht! Der Mann scheint beruflich und privat so stark eingebunden, dass ich mich frage, wo er noch Zeit für eine Frau abzweigen will. So ist es dann auch nicht ungewöhnlich, dass wir mal eine Woche nichts voneinander hören und dann wieder gefühlt 24 h durchschreiben. Das befremdet mich alles sehr! Mal besser abhaken.
Kandidat 3 hält mir sehr heilsam einen Spiegel vor. Ein wirklich schöner Mann! Hat die 40 selbst noch nicht geknackt und bestach durch ein ungewöhnlich interessant ausgefülltes Profil. Das war pures Entertainment und hat mich hervorragend unterhalten. So auch meine Rückmeldung an ihn und siehe da, es entwickelte sich ein zunächst vielversprechendes Gespräch. Irgendwann schrieb er, dass er Frauen über 40 anfänglich skeptisch gegenüber stehen würde. Oh. Da musste nachgehakt werden. Wenn auch etwas umständlich formuliert wollte er wohl mitteilen, dass er einen straffen Po sehr wichtig fände. Genaugenommen lässt ihn also Bindegewebe ab 40 skeptisch werden. Verdammt. Also meiner hängt zwar noch nicht in den Kniekehlen, aber vom Apfel sind wir weit entfernt. Transparent wie ich bin, teile ich dies natürlich auch mit und erfahre, dass 3 Tage alter Pfirsich statt Apfel, leider zurück in die Entscheidungsrunde müsse. Also entweder ist dieser Typ wahnsinnig witzig und verpackt seine eigentlich zu tiefst ehrlich gemeinten Wünsche in das herrlich knisternde Geschenkpapier der Ironie oder er meint es nicht ernst und veralbert mich. Konnte das nicht wirklich rauslesen und wollte auch nicht nachfragen. Ich habe dann meine Teilnahme am Casting selbst zurückgezogen bevor ich rausfliege, mich aber herzlich bedankt für das mir Vorhalten meiner eigenen Oberflächlichkeiten. Die Liste der Dinge, die ein Mann bei mir besser nicht mitbringen sollte ist nämlich endlos lang. Er schrieb dann: (…) „Ist nur schade, dass du die nicht ganz ernst gemeinte Hintern-Ansage so ernst genommen hast, dabei ist für mich viel entscheidender, ob meine Partnerin mit einem sehr großen Penis Probleme hätte…“ Ich lache noch immer.
Das ist doch pure Comedy oder meint der das ernst? Wo kommen all die großen Penisse so plötzlich her? Die haben sich die letzten Jahrzehnte eher nur zurückhaltend gezeigt. Oder war es ein letzter Versuch das Ruder noch rumzureißen? So als würde Frau all ihre Bedenken über Bord werfen, wenn nur der Penis groß genug ist?
Ist der große Penis das kleine Schwarze des Mannes, was herausgeholt wird wenn es eine Punktlandung werden soll? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mit zunehmendem Alter immer schwerer zu werden scheint im Panopticum der einsamen Herzen meinen Dexter zu finden. Oder meinen Aiden. Aiden Shaw ginge auch.
Ich bleibe zuversichtlich!
Zinseszins-Effekt…
…war einst die spontane Antwort Einsteins, auf die Frage, was die stärkste Kraft im Universum sei. Hä, fragen sich da kopfkratzend und stirnrunzelnd Dyskalkulaten wie ich.
Mittlerweile habe ich es verstanden. Auch ohne Geld anzulegen, kann man von diesem Effekt profitieren, denn auch bei menschlichen Gewohnheiten entstehen Wachstumseffekte. Analog dem Zinseszins stehen hierbei die kleinen, täglichen Schritte zur Veränderung die wir bereit sind zu tun. Die Resultate aus diesen kleinen Schritten wachsen exponentiell an im Verhältnis zur Zeit. Zinseszins also. Ich habe am 13.11.20 aufgehört zu Rauchen. Aus diesem kleinen Schritt resultierte, dass ich eine unbändige Lust aufs Laufen entwickelte und wiederum daraus resultierte, dass ich Lust bekam mehr auf meine Ernährung zu achten. Eine kleine Veränderung zog also fast schon automatisch weitere nach sich. Insgesamt ist dadurch noch einiges mehr in Bewegung gekommen, aber legen wir doch mal den Fokus aufs Laufen.
Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass ich dies mal so dermaßen abfeiern werde. Was habe ich aus tiefstem Herzen Leute beschmunzelt und auch bemitleidet, die an mir vorbeihächelten, während ich mit Käffchen to go und Kippe auf der Parkbank in der Sonne saß. Heute fühle ich mich der anderen Seite der Macht zugehörig. Ein Geheimbund quasi, der so geheim ist, dass niemand wirklich weiß ob er Mitglied ist, aber alle hoffen und wünschen es sich. Das er existiert, dessen bin ich mir allerdings sicher. Die verschwörerischen Blicke die man sich zuwirft, während man sich bei Nieselregen und 4 Grad bei Sturm am Kanal entgegenläuft. Das leicht angedeutete verächtliche Schnauben, wissend der Andere versteht es als Zusammenfassung für: Der Rest der Welt sitzt vor dem TV und isst Kuchen. Wir aber sind die Elite. Wir sind die Harten! Wir ziehen es durch! Ja, das schweißt im Angesicht des Schweißes wildfremde Menschen zusammen. Gesteigert wird es nur noch durch ein tatsächliches Hallo. Besonders mag ich auch das leichte Zunicken mit angedeutetem Lächeln unter Frauen. Ob der Gewissheit, dass wir es natürlich nicht nötig hätten, es aber trotzdem rocken.
Ach ist das schön und das alles war der Zinseszins vom Rauchstopp! Kann so weitergehen!
Bleibt gesund!
Der Gabentisch
Ich habe heute in meiner verhaltenstherapeutischen Sitzung fast nur geheult. Ein Novum. Bin ja eher der kontrolliert-beherrschte Typ. Tränen sind da ein selten genutzter specialeffect. Wie also hat die Franzi das geschafft?
Ich sollte mir vorstellen, ich stünde vor einem Gabentisch. Ein Tisch voller Geschenke, die das Leben für mich bereithält. Unterschiedlich verpackt, unterschiedlich groß und mal mehr und mal weniger liebevoll dekoriert. In einigen Geschenken stecken tolle Abenteuer, großartige Bekanntschaften eben die schönen und das Leben bereichernden Dinge. In einigen stecken aber auch Dinge, Menschen, Erfahrungen, Erlebnisse…auf die man gern verzichten möchten. Wenn man denn die Wahl hat. Und so gibt es Menschen, die es kaum erwarten können, ein Geschenk nach dem anderen auszupacken um wirklich jede Facette des Lebens mitzunehmen. Fröhlich, neugierig, erwartungsvoll und unvoreingenommen. Und dann gibt es mich!
Ich gucke nur. Ich bewundere die Geschenke aus der Ferne. Analysiere Form, Farbe und Größe. Ziehe Rückschlüsse. Vergleiche. Verzichte. Vielleicht mal eins anfassen und wenn es ganz wild wird, dann auch mal daran schütteln oder einen Millimeter vom Papier lösen um zu schauen was darunter ist. Gefällt aber nicht was zum Vorschein kommt (falsche Farbe oder Materialbeschaffenheit) wird es zurück auf den Gabentisch gelegt und weiterhin nur geschaut. Viel zu riskant. Nicht im Ansatz kontrollierbar. Lieber bei dem bleiben was ich kenne, kontrollieren kann, was sicher ist.
Ich denke ich muss nicht lange ausführen, wer wohl das erfülltere Leben führt.
So sah ich mich nun also stehen vor diesem Gabentisch und heulte als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht, dass diese Pandemie nicht schon schlimm genug wäre. Jetzt auch noch die gezielte Auseinandersetzung mit der Frage um die Funktionalität meiner Ängste, meines enormen Sicherheitsbedürfnisses, dem Willen alles unter Kontrolle haben zu müssen, dem ständigen Sorgen und den perfiden Krankheitsängsten! Um mal kurz ins magische Denken abzudriften: Das haben sich Universum, Karma& Co. super ausgedacht. „Scheiß auf Einzelexposition, wir machen mal Pandemie für die ganzen Hypochonder. Mit ordentlich Symptomvielfalt und feinen Folgeerkrankungen.“ Es sind also ohnehin schon harte Zeiten, für jeden von uns auf die ein oder andere Art und ich wage zu behaupten für Menschen wie mich noch mal mehr bzw. anders.
Inmitten dieser Dauerkonfrontationstherapie soll ich mich nun also auch noch damit beschäftigen was mein sekundärer Krankheitsgewinn ist. Als ob diese Ängste und Sorgen, die ich so wahnsinnig gerne los wäre, irgendeinen Benefit hätten. Oder gibt es einen? Was stabilisiert das Sorgen in mir? Wenn die Ängste eine tragende Säule meines Lebenshauses sind, stürzt es dann ein, würde diese Säule fehlen? Ich werde mal ein paar Blicke in diese Richtung riskieren, obwohl Risiko ja nicht so meins ist. Vielleicht könnte ich auch die Geschenke vom Gabentisch so hoch stapeln, dass diese die Sorgensäule verzichtbar machen. Aber zunächst sollte ich wohl damit beginnen, das ein oder andere Geschenk auszupacken. Gefährlich, ich weiß, aber ich durchlebe als Hypochonder gerade eine weltweite Pandemie. Könnte die Geschenke des Lebens auszupacken soviel gefährlicher sein?!
Die neue Weltordnung 15.Mai 2020
Mhh, der Tag ist nun schon viele Stunden alt und es ist rein gar nichts passiert. Ich bin um 6 Uhr aufgestanden, habe mir die Nägel lackiert, mir die Beine rasiert (Jaaaaa tatsächlich und jeder der mich kennt, weiß welch Opfer dies ist) und mir fast die Handgelenke ausgerenkt bei dem Versuch mir Beachwaves in die Friese zu zwirbeln. Dann habe ich mein schönstes Kleid angezogen und königlich gefrühstückt. Großen Ereignissen soll man ja bekanntlich nicht mit leerem Magen entgegentreten. Dann habe ich mich aufs Sofa gesetzt und gewartet. Und gewartet und gewartet.
Zwischenzeitlich habe ich mir überlegt ob ich mir noch zusätzlich die Bibel oder doch eher das Grundgesetz bedeutungsschwanger auf den Schoß lege. Aber nichts ist passiert. Immer wenn es klingelte, stieg mein Puls auf 120 und Glückshormone durchströmten mich. Es waren aber nur der Postbote und der junge Typ von oben drüber, der seinen Schlüssel vergessen hatte. Tagelang habe ich mir vorgestellt wie es wohl sein würde, wenn Bill Gates vor meiner Tür stünde um mich zu impfen mit einem Impfstoff den es noch gar nicht gibt, gegen ein Virus das es ja auch nicht gibt. Hatte so gehofft er könne mir danach EXCEL erklären und mir noch den Chip implantieren, der meinen Lieben im Falle meiner Entführung immer zeigen würde, wo ich mich aufhalte. So ein Chip wäre toll! Was da alles an Infos gespeichert wäre. Ich bräuchte nie wieder mit lästigen Mitmenschen kommunizieren. Sollen sie mich doch einfach auslesen! Ach was könnte das Leben doch einfach sein…
Aber er kam bislang nicht. Auch nicht Xaver, Detlef, der vegane Koch oder Barbies Ken, um mich final zu bekehren. Mich aus meinem Schafschlaf zu erwecken wie einst Dornröschen. Immerhin sah ich ja nach all den effektkosmetischen Eingriffen am Morgen und hübsch drapiert auf meinem Sofa sitzend so aus.
Ich bin enttäuscht, dass nun nicht mal mehr auf die Verschwörungstheoretiker verlass ist. Dabei waren sie doch so bemüht uns Unwissende vor dem Beginn der neuen Weltordnung ,am heutigen Freitag den 15.Mai 2020, zu warnen. Weder Kosten noch Mühen wurden gescheut, die wirklich echten Experten zur Meinungsbildung herangezogen, wissenschaftlich fundierte Quellen nachgewiesen und immer kühl, sachlich und konstruktiv mit Ungläubigen diskutiert. Alles auf ganz hohem Niveau also. Nicht so wie der Drosten, der alte Schwarzmaler, der ja sowieso von Mutti geschmiert wurde und die letztlich von Bill. Ich bin im Kern erschüttert.
War das alles nur Blödsinn? Wie schon der Weltuntergang der Silvester 1999/2000 auf sich warten ließ aber doch vorausgesagt war? Auch wenn ich mich sehr auf Bill und die mit ihm einhergehende Immunität aufs SARS-CoV-2 gefreut habe, so bin ich auch sehr traurig, dass mein pandemischer Synapsenfasching der Freude, nun im luftleeren Raum verpufft.Ich gehe jetzt einfach mit Bibel und Grundgesetz am Kanal spazieren. Vielleicht kommen sie ja übers Wasser. Wer auch immer. Ich werde, nur zur Sicherheit, heute Nacht die Balkontür offen lassen. Wegen der Zeitverschiebung und so. Vielleicht haben der vegane Koch und Kenny das nicht bedacht und es ist erst am 16.5.2020 so weit. Hättet ihr mal besser recherchiert!
#wissenschaftlichesarbeiten #drostendarfauchueberdenbalkonkommen #denkenhilft #muttimachtdasgut #einfachmaldiefressehalten
Sehen und gesehen werden
Ich schaue aktuell eine Serie. Sie heißt „You“ und bringt mich seit dem zum Grübeln. Zusammenfassend kann man sagen, es geht um Stalking. Der junge Besitzer eines Buchladens, verguckt sich in eine Kundin. Als er ihren Namen erfährt, beginnt er zunächst diesen durch die Suchmaschine zu jagen. Sie ist aktiv in fast allen sozialen Netzwerken und so ist es ihm ein leichtes schnell Informationen über sie anzuhäufen. Bald fängt er an ihr zu folgen. Beobachtet sie in ihrer Wohnung und wenn sie mit ihren Freundinnen ausgeht, dann folgt er ihr auch dort hin. Irgendwann fügt es sich, dass er sie betrunken davor bewahrt, von einer Bahn überfahren zu werden. Hierbei nimmt er ihr ihr Handy ab und dann geht der Wahnsinn erst so richtig los. Sie besorgt sich zwar ein neues Telefon, aber benutzt offensichtlich die selbe Nummer und die Geräte synchronisieren sich. Er kann also auf ihrem alten Handy, all ihre Aktivitäten mit dem Neuen 1:1 verfolgen.
Ich frage mich nun, wo hört die „Kennenlernrecherche“ auf und wird zu Stalking? Gilt es überhaupt zu unterscheiden zwischen Neugier motiviertem Recherchieren, der gefühlsdominierten „Kontrollrecherche“ innerhalb einer Paarbeziehung und der „Leidensrecherche“ beispielsweise nach Beendigung einer wie auch immer gearteten Beziehung? Ich finde schon. Die Grenzen sind sicher hauchdünn. Mal vorab zu schauen, wie die neue Kollegin aussieht, hat eine deutlich andere Qualität als das Partnerhandy zu tracken oder über Clouds und Synchronisation private Chatverläufe mitzulesen. Ab wann aber fängt es an eigenartig zu werden und einen faden Beigeschmack zu bekommen? Wenn wir es nicht mehr steuern können? Wenn uns immer verrücktere Dinge einfallen um an die gewünschten Informationen zu kommen oder wenn wir tatsächlich auch immer verrücktere Dinge tun, um der „Zielperson“ nahe zu sein? Lassen wir uns im Falle der Trennung und vor der Aufforderung die Wohnungsschlüssel zurückzugeben welche nachmachen, um dann in dieser Wohnung auch tatsächlich noch einmal zu sein? Ein aller letztes Mal noch? Nehmen wir sogar etwas mit? Ist das noch Abschiednehmen oder ist es schlichtweg krank? Lassen wir uns dazu hinreißen z.B. aus Sehnsucht, Liebe, Kummer oder Verzweiflung ab und an an der Wohnung der „Zielperson“ vorbeizufahren nur um zu schauen ob sie daheim ist oder vielleicht Besuch hat und wenn ja von wem? Ist das noch Interesse oder ist das Stalking? Das tägliche stundenlange Durchforsten der sozialen Netzwerke auf Neuigkeiten- Interesse, Stalking, Selbstkasteiung?
Geben wir unser Recht auf Privatsphäre beim Eintritt in die digitale Welt ab? Zumindest könnte man meinen, dass es ein kalkulierbares Risiko für diejenigen ist, die jede Mahlzeit und jede Aktivität mit der Community teilen. Öffnen wir Tür und Tor für Stalking oder Neugierrecherchen? Absolut.
Vielleicht machen uns auch erst negative Erfahrungen diesbezüglich etwas sensibler. Aber nun hänge ich gedanklich noch fest in der Bewertung dessen, was denn negative Erfahrungen sind. Ist es, dass der Ex aus 2016, es trotz Blockierungen auf sämtlichen Kanälen geschafft hat wieder Kontakt herzustellen? Ist es das Gefühl: Jemand war in meiner Wohnung? Sind es Telefon- Email- o. Messengerterror? Ich weiß es nicht. Ich bin ratlos. Negative Erfahrungen sind es zweifellos, aber bewahren sie uns zukünftig vor Stalking oder gar davor selbst zu stalken? Vermutlich nicht, denn die virtuelle Welt mit all ihren Reizen und technischen Möglichkeiten ist wie eine der Sirenen aus der griechischen Mythologie. Verlockung und Gefahr gleichermaßen.
Online Gebrauchtwagenmarkt
Online Dating…nun ja, da könnte ich ganze Bücher drüber schreiben und vielen anderen geht es sicher genauso. Die Motivationen sich anzumelden, sind sicher sehr vielfältig. Natürlich ist da der Wunsch jemanden kennenzulernen, mit dem man sich bestenfalls in ein Beziehungsexperiment wagt, aber auch der Unterhaltungsfaktor ist nicht zu vernachlässigen. Ebenso ist es ein hervorragendes Medium der Vorabselektion. Völlig frei von schlechtem Gewissen kann man sich bei Nichtgefallen einfach zum Nächsten klicken. Keine Erklärungen notwendig. In Ruhe und vom Sofa aus kann man alle relevanten Dinge erfragen und die Antworten dahingehend abchecken, ob sie in das Verständnis der eigenen Lebenswirklichkeit passen oder eben nicht. Man verliert sich komplett in Oberflächlichkeiten bereits bei Sichtung der Fotos und leitet aberwitzige Thesen ab. Zu klein- kann keine hohen Schuhe tragen, zu groß-Nackenschmerzen nach Knutscherei im Stehen, schütteres Haar- einfach unattraktiv, keine Kinder- ab einem bestimmten Alter sehr verdächtig, zu viele Kinder- schlimmer Nerv- u. Zeitfaktor, schlecht gekleidet- könnte peinlich werden, zu ernster Blick- chronisch unzufrieden usw. …Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass man im Vorfeld jemanden aussortiert, der eigentlich ganz hervorragend zu einem passen würde, aber: ich kaufe mir ja auch kein Auto mit bestmöglicher Ausstattung, obwohl es mir optisch nicht zusagt. Denn jeden Morgen, wenn ich auf dieses Auto zugehen würde, denke ich mir dann: schön bist du nicht, aber du hast eine Rückfahrkamera?! Blödsinn! Wenn uns jemand optisch nicht anspricht, dann interessiert uns in der Regel nicht mehr ob alles andere kompatibel ist. Zumindest beim Online Dating. Ich will natürlich nicht bestreiten, dass man sich in einem anderen Kontext sehr wohl in jemanden verlieben kann, der zunächst nicht als optisch ansprechend empfunden wird, aber immer attraktiver wird umso näher man sich kennenlernt.
Zurück zum Auto. Unstrittig natürlich, dass einzig eine Hammerkarosserie auch nicht ausreichend ist, was besonders bei längeren Fahrten schnell deutlich wird. Umso mehr gilt es, sich im Vorfeld genau zu überlegen, auf welchen Komfort man bei der Innenausstattung keinesfalls verzichten möchte und welche Karosserie ansprechend ist. Hier und da kann man sicher Abstriche machen, aber auch diesbezüglich ist wieder Vorsicht geboten. Nur weil der Wagen rot ist und rot meine absolute Lieblingsfarbe, mag ich mich im Sommer darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Sitzheizung fehlt. Spätestens aber im Winter, werde ich diesen Kompromiss schmerzlichst bereuen und mich ärgern, dass mir das Rot so dermaßen die Sinne vernebelt hat und ich meinem eigentlich sehr verlässlichen Bauchgefühl nicht gefolgt bin. Und im Laufe der Zeit wird das Rot auch immer blasser, bis man es gar nicht mehr mag. Also Augen auf bei den anfänglich charmant anmutenden „Macken“ oder „Eigenheiten“, denn die werden meiner Erfahrung nach zunehmend nerv tötender.
Online Dating ist also im Grunde genommen nichts anderes als ein riesiger Gebrauchtwagenmarkt. Erst mal Anzeigen durchforsten, an schönen Fotos hängen bleiben, technische Daten checken, Termin beim Händler vereinbaren, Probefahren, vertragliche Konditionen aushandeln und ggfs. Kaufen.
Ich kann an dieser Form und Ausgestaltung der Partnerschaftsakquise nichts oberflächlich-verwerfliches finden und jeder der mir sagt, das Aussehen sei egal, es ginge doch um die inneren Werte, der ist nicht ganz ehrlich zu sich selbst. Der erste Eindruck ist in der Regel der visuelle und das lässt sich nicht weg reden.
In diesem Sinne verbleibe ich mit einem Augenzwinkern.
Anleitung zum Unglücklichsein
„Für eine richtig schöne Panikattacke nehme man: Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, Übelkeit und eine Prise Körperkribbeln. Das Ganze dann für 10 Min. richtig intensiv nachspüren und ja nicht vergessen sich dabei ordentlich verrückt zu machen und Todesangst zu entwickeln. “
Nach nun fast 8 Wochen teilstationärer, psychosomatischer Behandlung, wird es Zeit für ein Zwischenresümee. Zunächst soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich froh bin, diesen Schritt gegangen zu sein. Der Weg war hart, steinig, führte durch viele Täler aber ab und an schien auch die Sonne. Ich merke schon nach den ersten Sätzen, dass ich diesen Text gar nicht mehr schreiben kann, ohne dass meine neue Haltung zu mir selbst und meinem Leben miteinfließt. Im Grunde genommen ein gutes Zeichen, weil es bedeutet, dass ich einiges bereits verinnerlicht habe.
Ich war von Beginn an offen, habe mir vorgenommen alles auszuprobieren, weil ich an einen Punkt gelangt war, an dem ich mir ein Lorbeerblatt auf die Stirn geklebt hätte, hätte mir jemand gesagt, damit würde es besser. Als nicht ganz therapieunerfahrene Sozialpädagogin hatte ich befürchtet, meine eigene Arroganz könnte mir im Wege stehen. Tat sie aber nicht, weil mir der Rollen- u. Perspektivwechsel hin zur Patientin gut gelang. Denn was ich bereits am ersten Tag begriff: alle in dieser Gruppe, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Beruf und sozialem Status verband eines ganz sicher- ein Störungsbild mit einhergehendem Leidensdruck. Was mich gut ankommen ließ, waren wundervolle Leidensgenossen und ein Therapeutenteam, welches seinen Job offensichtlich gern und mit Leidenschaft macht. Natürlich habe ich zunächst Achtsamkeitsspaziergänge und Chi Gong innerlich belächelt. Aber weniger (vielleicht ein bisschen) weil ich es albern fand, sondern nie gedacht hätte „zu sowas“ einen Zugang finden zu können. Jeder der mich gut kennt, wird eifrig abnicken.
Ich habe im Affektregulationstrainig Wasabi probiert und Wasserflaschen solange gegen eine Stahltür geworfen bis sie geplatzt sind, was sehr zu Verwunderung beim Hausmeister führte. Ich war im Psychodrama eine Biene, habe mit Stühlen und Blumentöpfen meine „Lebensbaustellen“ aufgestellt, in Gruppensitzungen öffentlich geheult, in Gedankenexpositionen meinen schlimmsten Katastrophengedanken auf Band gesprochen und es mir solange immer wieder angehört, bis mein Körper nicht mehr darauf reagiert hat. Ich habe die radikale Akzeptanz kennengelernt, was gut und hilfreich war für die sagenumwobene Erstverschlimmerung der Symptome in den ersten Wochen. Ich habe in Rollenspielen und „unter der Ressourcendusche“ das erste Mal Rückmeldung zu meiner Außenwirkung auf völlig Fremde bekommen und in der Ergotherapie tatsächlich einen Speckstein bearbeitet. Ich habe mich selten bei innerlichem Augenrollen ertappt, weder bezogen auf die Therapieangebote noch bezogen auf die Mitpatienten.
Ich habe verstanden, dass Gedanken umzuprogrammieren sind und ich es nun tun will. Ich habe verstanden, dass es Methoden gibt um das Gedankenkarussell zu stoppen und ich sie nun anwenden will. Ich habe verstanden, Dinge anzunehmen wie sie sind, weil sie eben nicht veränderbar sind und das ich bei Dingen die ich verändern kann, endlich beginnen werde sie zu verändern. Das wohl Wichtigste was ich gelernt habe ist nicht jeden Gedanken zu bewerten, nur weil er gerade auftaucht. Denn das Wetter wird nicht besser, weil ich es als mies bewerte. Im Gegenteil, steige ich in die Bewertung ein, kommt es schnell zu schlechter Laune und das einzig, weil ich mich in etwas reinsteigere, das ich nicht verändern kann. Das Wetter. Verändern kann ich nur meine Bewertung zum Wetter. Diese Erkenntnis lässt sich auf jeden Lebensbereich übertragen und erscheint mir wie ein Geschenk.
Ich kam mit einem leeren Werkzeugkoffer und konnte ihn mit Vielerlei bestücken. Diesen Koffer werde ich nächste Woche mitnehmen und darauf zugreifen, wann immer es nötig ist. Ich denke einen größeren Benefit kann es nach solch intensiver Therapie kaum geben. Handwerkzeug für die Tage und Wochen die kommen werden und an denen es mehr wolkig als heiter sein wird. Ich habe den Anspruch auf das universelle und immerwährende Glück abgelegt und freue mich stattdessen über jeden guten Tag. Ich wache morgens auf und bedanke mich für 3 schöne Dinge des Vortages, statt sorgenvoll in den neuen Tag zu starten. Ich bin gelassener geworden was meine streng getaktete Alltagsroutine betrifft und habe endlich mal mich selbst im Fokus statt andere. Ich vermeide nur wenige Dinge und lobe mich für jede gemeisterte, angstbesetzte Situation.
Alles in Allem fühle ich mich gut gewappnet für die Rückkehr „ins normale Leben“. Ich blicke auf 8 Wochen gemeinsames Lachen, Leiden, Weinen, Fühlen und Lernen zurück. Auf fast schon philosophische, therapeutische Einzelgespräche, auf Mitarbeiter, die alles möglich gemacht haben was möglich zu machen war und auf intensive und lehrreiche Gespräche mit Mitpatienten, denn am Ende verstehen Betroffene andere Betroffene doch am besten.
Ich blicke positiv in die Zukunft und sage mir in Krisen: So wie es gerade ist, wird es nicht bleiben- was Hoffnung macht. Ich sage mir dies aber auch in Hochphasen, weil es dankbar macht. Mit dieser Haltung hat die Medaille zwar immer noch 2 Seiten, aber 2 gute, denn es ist wie immer alles eine Frage der Perspektive. Und das werde ich radikal akzeptieren.
One night in Bangkok
Ich war 20 oder 21 als ich dich kennenlernte. Du warst 40, so alt wie ich jetzt. Ich habe in den Ferien auf dem Gutshof die Kinder der Gäste betreut und als ich dich das erste Mal traf, fand ich dich ziemlich doof. Du warst mit dem Chef befreundet und so überpräsent, raumfordernd und laut. Du hast immer alle Blicke auf dich gezogen, weil du auch noch schön und klug warst. Das konnte ich nur doof finden! Ich am mich finden, du mitten im Leben. Fest, mit beiden Beinen. Habe innerlich schon mit den Augen gerollt als es nur hieß, dass du gleich noch vorbeikommen wirst. Und dann immer dieses Lied! Wenn ich die ersten Töne von Murray Head hörte war mein mentaler Brechreiz kaum zu stoppen. Es war also im Gesamtpaket furchtbar.
Eines Tages, richteten dir die angestellten Hofdamen eines der Hotelzimmer her. Sie streuten Rosenblüten auf das Bett und stellten Sekt bereit. Du warst mit einem verheirateten Mann liiert und ihr wolltet euch im Gutshof treffen. Und so doof ich dich auch fand, das hat mich tatsächlich beeindruckt. Mich unsagbar neugierig gemacht. Ich schaffte es dann tatsächlich meine gut gepflegte Antipathie bei Seite zu legen, um meine Neugier zu befriedigen. Wir kamen über deine Liaison ins Gespräch und es passierte was immer passiert, wenn man sich die Mühe macht,die Perspektive seiner Bewertungen zu verändern. Ich sah dich plötzlich in einem völlig anderen Licht. Alleinerziehend mit 2 fast erwachsenen Söhnen, in Vollzeit berufstätig und gesegnet mit einer unbändigen Lebenslust. Es kam wie es kommen musste und wir verbrachten ab dann sehr viel Zeit miteinander. Hauptsächlich im Gutshof und später im „Ocean Night Club“. Zu „One night in Bangkok“ wurde plötzlich getanzt und nicht mehr gekotzt, gekotzt dann eher nach zu viel Gin und Tequila. Du hast das Leben gefeiert und wir haben uns gefeiert. Wir haben gemeinsam der Ehefrau deiner Liaison lustige Nachrichten auf der Windschutzscheibe hinterlassen, wir haben auf Billardtischen gestrippt, uns Tarotkarten gelegt und wir haben zusammen dein Hochzeitskleid gekauft. Dank deiner Initiative habe ich meine allererste Therapie begonnen, du hast mir die Daumen gedrückt für meine Abschlussprüfungen und zu dir führte mein erster Weg nach bestandenem Kolloquium. Auch als Schwiegermutter warst du spitze, als ich mich in einen deiner Söhne verliebte und wir auch tatsächlich kurz ein Paar wurden.
Du warst immer so voller Leben und Energie. Aufgeben war keine Option und du hast dich nie beschwert. Du warst immer schonungslos ehrlich und unfassbar stark. Darum habe ich deine schwachen Momente immer ein wenig genossen und mir erleichtert gedacht: „Puh, sie ist eben auch nur ein Mensch…“und das meine ich von ganzem Herzen lieb. Unsicher warst du, als du deinen Ehemann kennengelernt hast. Der Arme musste als erste Feuerprobe aber auch gleich deinen gesamten verrückten Freundeskreis kennenlernen. Aber er hat dich rumgekriegt, dir deine Unsicherheiten genommen und du wurdest seine Frau. Eine der besten Entscheidungen deines Lebens. Das würdest du sicher auch selbst so beurteilen…wenn du es noch könntest…
…denn du bist nicht mehr da und dieser Verlust, so frisch an Tagen, schmerzt sehr. Du hast gesagt ich soll dich so in Erinnerung behalten wie du warst, als wir uns das letzte Mal sahen. So wie wir waren, als wir barfuß über die Tanzfläche sprangen. Das war deine Antwort darauf, dass ich dir sagte ich sei zu feige dich nochmal zu sehen bevor du gehst, weil ich es nicht ertragen hätte dich zu sehen, mit dem Wissen, dass es das letzte Mal ist. Das war unser Abschied. Dies hier ist ein Abschied. Unendlich dankbar für diese großartigen Jahren bleibe ich zurück in einer Welt, die sich nun ohne dich weiterdreht. Das Leben ist kurz und ich werde es genießen so gut ich kann. Ich danke dir für deine Liebe!
Meiner Freundin Mary *25.12.1959- 06.05.2019
Die Angst ist nicht der Feind…
…ein Freund vielmehr, auch wenn diese Betrachtungsweise mir punktuell schwerfällt. Denn ein Freund benimmt sich nicht so. Vielleicht, weil er sich nicht ernstgenommen oder übersehen fühlt. Gut, dann bin ich nun bereit meiner Angst zuzuhören. Nachdem sie mir monatelang laut ins Ohr gebrüllt hat, gibt es vermutlich auch keinen anderen Weg mehr. Ich möchte nun gern mit ihr in Klärung gehen. Sie nach ihrem Anliegen fragen, denn sie ist da und hat nicht vor zu gehen ohne gehört zu werden. Nach einem nun schon 5 Monate andauernden Psychosomatikmartyrium will ich die letzten Kräfte mobilisieren, um mich der Angst zu stellen. Sie war schon immer da, aber offensichtlich fühlte sie sich nie angemessen hofiert und hat im November mit allen ihr noch zur Verfügung stehenden Kräften zugeschlagen.
Ich bin jetzt an einem Punkt, da ich nach tatsächlich unzähligen Facharztbesuchen anerkennen muss, dass all meine Symptome wohl nicht körperlicher Natur sind und anstatt zu jammern wie schlecht es mir geht, sollte ich mich wohl fragen warum dies so ist um auf eine Handlungsebene zu kommen. Zunächst lag die Antwort auf der Hand: es geht mir schlecht wegen der Symptome und wären die nicht da, würde es mir besser gehen. Macht objektiv betrachtet Sinn. Nur steht die leidvolle Erkenntnis dahinter, dass die Symptome nicht verschwinden, solange es mir schlecht geht. Ein Teufelskreis.
Was also tun? Ich habe begonnen die Angst und ihr Gefolge anzuerkennen. Habe punktuell Frieden geschlossen und mir gesagt: dann ist das jetzt eben so und ich werde damit leben müssen. Nach langer Krankschreibung dann wieder arbeiten zu gehen war der erste, völlig richtige Schritt. Das hat meinen Jammeralltag wieder strukturiert. Ich habe mich jeden morgen aufs Neue dazu gezwungen aufzustehen, mich fertig zu machen und ins Auto zu steigen. Ich habe mir untersagt, wenn es auf der Arbeit unerträglich schien, den Dienst abzubrechen und es durchzuziehen. Mit dem Erfolg, dass ich mich jeden Abend dafür gefeiert habe, wieder einen Tag geschafft zu haben. Auch habe ich mir vorgenommen nicht in die Vermeidung zu gehen. Jeder Situation, in der ich Angst vor der Angst entwickelt habe, habe ich mich bewusst gestellt. Denn ich glaube der Grad ist schmal und plötzlich geht man nicht mehr aus dem Haus, weil ja die Angst kommen könnte. Und sie kam auch. Unzählige Male und ich habe gelernt sie zu regulieren. Ich habe begonnen sie auszublenden, sie auf später vertröstet, ihr gesagt sie soll sich zum Teufel scheren oder ich habe ihr gesagt: na dann los, komm schon, dann haben wir es hinter uns.
Dann habe ich mir Schützenhilfe geholt. Ich hatte ein Casting für einen teilstationären Therapieplatz an der MHH, habe mir die Finger blutig telefoniert auf der Suche nach einem niedergelassenen Verhaltenstherapeuten, dessen Warteliste nicht 6 Monate lang ist und habe auf eigene Kosten eine Hypnotherapie begonnen um irgendwie ins Handel zu kommen. Und siehe da, es wurde besser und ich dankbar für jeden Tag der nahe an der Normalität war. Ich habe mich neu in mein wunderbares Leben verliebt, mit dem ich im November sehr gehadert habe. Diese oft nur wenigen Minuten ohne Symptome erschienen mir wie ein Geschenk. Mein Leben ist ein Geschenk. Wie ich mich gesehnt habe nach diesen alltäglichen Situationen, die mir so selbstverständlich erschienen. Das sind sie aber nicht und das wurde mir klar, als ich es im Dezember nicht mal mehr geschafft habe, meinem Sohn abends etwas vorzulesen, weil ich vor lauter Schwindel die Buchstaben nicht mehr sehen konnte. Und als er irgendwann an einem Wochenende mal meinte: Mama immer liegst du nur auf dem Sofa und bist müde, da war klar jetzt ist Schluss damit. Der scheiß Schwindel soll sich ins Knie ficken.
Mittlerweile habe ich meinen Kollegen mitgeteilt was Stand der Dinge ist, weil es Situationen gibt, in denen ich zum Beispiel Teambesprechungen verlassen muss oder in Gesprächen nicht mehr folgen kann, weil mein Symptomfokus wieder mehr als scharf gestellt ist. Ich will mit meinem Verhalten aber niemanden verletzten und so habe ich es offen thematisiert. Wir sprechen jetzt gelegentlich darüber und das macht die Angst weniger groß und schrecklich. „Der kollegiale Inner Circle“ nimmt sich sogar Zeit, neben wirklich viel Arbeit, meine Bilder aus der Hypnotherapie nach zu besprechen, damit ich mich nicht in meine eigenen Hypothesen dazu verliebe und offen für unterschiedliche Perspektiven bleibe. Das alles hilft so ungemein. Und ich schäme mich nicht dafür. Auch hier und jetzt nicht, obwohl ich weiß dass es Mitleser gibt die eigentlich nur „Hatewatching“ betreiben. Aber das sei ihnen gegönnt. Ich profitiere viel vom Austausch mit Menschen, die die selbe Diagnose haben und alle versichern mir: Das geht wieder weg! Ich muss eben nur etwas dafür tun. Von allein kommt nix. Und ich bin bereit, habe angefangen den Weg zu gehen und ich zieh das jetzt durch bis zu dem Tag, an dem ich irgendwo sitze, in mich hinein höre und da keine körperlichen Befindlichkeiten mehr sind, als eine tiefe Zufriedenheit und Wohlbefinden. Ja ich weiß, das ist ein großes Ziel. Darum mache ich die Angst zu meinem engsten Vertrauten. Werde ihr zuhören. Noch spricht sie sehr leise, aber wenigstens sind wir seit der Hypnotherapie überhaupt ins Gespräch gekommen. Ich werde geduldig mit ihr sein. Geduldig mit mir sein.
Ich bin zutiefst dankbar für all die Menschen, die diesen Weg mit mir zusammen gehen. Im Besonderen Anni, die mir die Hand beim zweiten MRT gehalten und bei jedem Facharzttermin mitgefiebert hat, Sebastian Kraemer, dessen Buch und persönliche Worte so viel Hoffnung machen, der Vater meines wunderbaren Kindes, der mir bei meiner Talfahrt komplett den Rücken freigehalten und auch gestärkt hat, natürlich der Mann den ich liebe, einfach weil er mich liebt, trotz allem…und der „kollegiale Inner Circle“ der wohl der beste ist, den man sich in solchen Krisen wünschen kann.
Es geht weiter. Immer. Irgendwie.
Musikalische Früherziehung in der DDR
Meines Wissens nach gab es dort so etwas nicht. Oder es wurde anders definiert als heutzutage. „Musikgarten“, „Cello für 3 jährige“, „rhythmisches Pupsen“ oder „Gehörgangklangschalenmassage“ scheinen mir eher neumoderner Schnick Schnack zu sein. Meine musikalische Früherziehung übernahmen die Flippers und Roland Kaiser. Mag man jetzt finden wie man will, aber immerhin könnte es dazu beigetragen haben, dass Musik die große Liebe meines Lebens geworden ist. Eine verlässliche Partnerin im Alltag, im Besonderen, Aufputschmittel und Downer gleichermaßen. Nie stellt sie Fragen sondern ist bedingungslos da. Ohne Nino de Angelo wäre mein pubertärer Liebeskummer nicht der selbe gewesen. Das Leid nur halb so schön. Noch heute kann ich bei „Flieger“ oder „Giganten“ theatralische und sehr tränenreiche Zusammenbrüche bekommen. Zack, wieder 13. Wunderbar ist das. Wenn sich der ganze Scheiß mal wieder aufgestaut hat, mich verstopft und blockiert, dann wirkt ein bewusst gewähltes Musikstück wie ein mentales Abführmittel. Dann kommt der ganze Mist hoch und wird rausgespült. So herrlich befreiend. Musik ist meine beste Freundin, meine Therapeutin, mein Motivationstrainerin und vor allem schon immer eine Muse. Eine Energiequelle. Zugegebenermaßen sind es nicht immer nur positive Energien. Über Musik kann ich Ereignisse in meinem Leben zeitlich besser zuordnen. Musik macht mit mir emotionale Zeitreisen. Als meine Mutter damals den schweren Unfall hatte, bin ich 3 Stunden lang Auto gefahren ohne Musik zu hören. Ich wollte musikalische Verknüpfungen zu meinen Gefühlen unbedingt vermeiden. Es hat funktioniert. Und manchmal unterlege ich Situationen ganz bewusst mit Musik um im Nachhinein das gesamte Spektrum erinnern zu können.
Ältere Geschwister zu haben, hat meine musikalische Früherziehung und ich definiere „Früherziehung“ jetzt mal bis zu einem Alter von 15 Jahren, ebenso beeinflusst. Bei meinem Bruder lief in einem Moment eine Platte von der Speedmetalband Helloween und ne Stunde später die Münchner Freiheit. Dieses überaus weite Spektrum habe ich bis heute gern übernommen. Man hat damit so viel mehr Möglichkeiten. Konnte mich nie für ein Genre entscheiden. Meiner Schwester verdanke ich die Affinität zu Ina Deter und das sprühe ich gern an jede Wand.
Nach Abschluss der Früherziehung, der musikalischen Fremd- u. Selbstverletzung, erweiterte ich mein Gefallensrepertoire mit jedem neuen Menschen der in mein Leben trat. Jeder brachte ein musikalisches Geschenk mit. Manche habe ich behalten und manche habe ich weitergegeben oder auch lieblos entsorgt. Es gibt ja sooo furchtbare Musik. Ich weiß ich habe es an anderer Stelle bereits mal erwähnt, aber ich könnte diese Hasstirade täglich feiern: Wenn sich bei Depeche Mode ein roter Faden durch die Alben zieht, dann ist das gewollt und geliebt und der sog. Wiedererkennungswert. Wenn sich bei Linkin Park jedoch jeder Titel gleich anhört, dann ist das einzig kreatives Unvermögen. Ein Sorry an alle, die LP mögen. Mir schmerzen die Ohren. So viel Ehrlichkeit sollte erlaubt sein. Darauf, jeden Song der Flippers mitschmettern zu können, bin ich ja auch nicht gerade stolz. Und so gibt es unzählige Songs die ich nicht ertragen kann. Im Sommer 2018 galt mein ganzer Hass Namikas “ je ne parle bla bla blubb“. Aber jedem das Seine. Gebetsmühlenartig wiederhole ich dieses Mantra.
Und so frage ich mich nun ob musikalische Früherziehung einen pädagogischen Mehrwert hat. In meinem Fall nicht und ich habe Musik ganz für mich alleine entdeckt und das trotz widriger Sozialisationsumstände, ohne Singsang im Kinderkreis an der Musikhochschule, ohne Spieluhr, ohne die Top 30zig der besten Bewegungshits für Kinder von Rolf Zuckowski. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass PEKIP und Co. einzig Mamas Networking dienen, aber das wäre mal einen gesonderten Beitrag wert. Auch hier gilt, jedem das Seine, aber mir bitte nicht.
Vielleicht ist die Liebe zur Musik aber auch etwas „naturgegebenes“ und nicht erlernbar. Ich kenne Leute, die noch nie emotional entgleist sind wegen eines Musikstückes. Unvorstellbar! Was stimmt mit denen denn nicht? Ich glaube ich werde jetzt auch mal entgleisen, einfach nur so. Ich muss mich nur noch entscheiden zwischen: Holger Biege „Sagte mal ein Dichter“ und David Gray „easy way to cry“.
Ich sags ja, auf die Bandbreite kommt es an…;)
redaktionelle Anmerkung: an dieser Stelle seien alle neuen Erdenbürger/innen herzlichst begrüßt! Auf das eure Eltern euch die Gehörgangklangschalenmassage ersparen und stattdessen Nirvana unplugged auflegen. Dann wird alles gut und für den Rest habt ihr mich…