In Würde altern

Ich werde dieses Jahr 40zig! Meine Panik ist kaum noch zu zähmen, dabei ist es doch nur eine Zahl. Sagt man so. Für meinen Geschmack aber eine ziemlich große. Was aber löst diese Angst aus? Zunächst denke ich, dass die Hälfte meiner Zeit auf Erden wohl vorüber ist. Auf was also blicke ich zurück? Auf eine glückliche Kindheit, die erste große Liebe, eine Ausbildung, ein Studium und eine Schwangerschaft. Eckpfeiler, einbetoniert in ein Fundament aus freudigen aber auch leidvollen Erfahrungen. Persönlichkeitsfindung, Werteentwicklung, Trauma, Drama, Komödie- alles war dabei. Soweit so gut.

Auf was blicke ich aktuell? Auf die sich todlachende Schwerkraft, auf Bindegewebe welches sich bereits im Ruhestand fühlt und keine Spannung mehr möchte, auf Altersflecken die ich niemandem mehr als Leberflecken verkaufen kann (nicht mal mir selbst), auf lappenartige Hautformationen an Oberarmen und Hals, auf graue Haare und Furchen im Gesicht gemeinhin als Falten bekannt. Weniger schön das alles. Ich weiß, es sind nur Äußerlichkeiten, aber eben im Außen und somit für jeden gut sichtbar. Hätte ich mal auf meine weise Mutter gehört, die mir mit 16 schon sagte: „Immer schön eincremen, Mädchen!“ Damit hätte ich auf den morbiden Charme des Verfalls vielleicht noch ein paar Jahre verzichten können. Wusste aber bereits mit 16 schon alles besser und sah in keinster Weise die Notwendigkeit. Retrospektiv sehe ich sie nun jeden Morgen im Spiegel. Selbst schuld.

Nun hat aber auch diese Medaille zwei Seiten. Was also ist jetzt besser als mit Mitte 20zig? Vieles! Das muss ich wohl bei all dem Äußerlichkeits-mimimi ehrlich zugeben. Meine Freunde wähle ich mit mehr bedacht. Nicht mehr selbstverständlich allein die Vergabe der Begrifflichkeit. Und auch ich möchte nicht mehr jedermanns Freund sein. Wahre Freundschaftspflege ist aufwendig. Ein Zeitfresser, wenn man es mit entsprechender Akribie betreibt. Meine wenige Zeit, die mir neben Kind und Job noch bleibt, möchte ich sinnvoll verwenden. Auch so eine Erkenntnis, die mit 20zig noch nicht mal in weiter Ferne auftauchte. Hauptsache Spaß lautete damals die Parole.

Ich blicke aber auch auf Entscheidungen. Gefühlt hundert am Tag. Früher hat meine Mutter mir die Klamotten für den nächsten Tag rausgelegt. Heute muss ich das allein entscheiden. Ich schätze ich habe diesbezüglich nicht immer die besten Entscheidungen getroffen- so mein Fotoalbum. Nur hatte es im Grunde genommen wenig Auswirkungen auf den Rest meines Lebens was für Klamotten ich zur Schule trug. Die Entscheidungen die ich heute so treffe sind meist weitreichender. Das macht mich ganz wuschig. Meine Zwangsneurose soll an dieser Stelle nicht verheimlicht werden und der damit einhergehende Kontrollwahn auch nicht. Man kann sich also leicht vorstellen wie schwer ich mir Entscheidungen mache. Abwäge. Pro und Contra Listen führe. Schlimm das. Da will ich dann wieder 20zig sein und vor mich hin leben. Aber der Zug ist abgefahren.

Heiraten, Kinder bekommen, leben, streiten, schlafen mit dem immer gleichen Menschen. So ungefähr sieht doch das deutsche „Durchschnittsleben“ aus. Man hat genug gefeiert, probiert, experimentiert und fühlt sich nun der Suche mit dem Einen, besonderen Menschen gewachsen. Wenn er kommt ist ja alles überdurchschnittlich perfekt gelaufen, doch was, wenn er nicht kommt? Oder wir ihn nicht erkennen, verpassen oder uns irren? Dann hören wir irgendwann auf zu suchen und nehmen, was uns momentan als fast perfekt, fast richtig oder ausbaufähig erscheint. In diesem Moment jedoch, stülpen wir uns gesellschaftliche Attitüden über und verkaufen es als unseren freien Willen. Mit Anfang 20 waren wir schnell beim Nächsten, wenn etwas nicht lief wie wir uns das wünschten. Doch heute laufen wir nicht mehr zum Nächsten, sondern kämpfen.

Auch bin ich bei der Wahl meiner Partner in den letzten Jahren einem Veränderungsprozess unterlegen. In der zweiten Lebenshälfte guckt man nicht mehr danach wer ein tauglicher Kandidat zur Arterhaltung wäre, denn im besten Fall hat man die Fortpflanzung bereits von der to do Liste gestrichen. Es geht vielmehr darum nun bei jemandem anzukommen. Sich daheim und geliebt zu fühlen trotz und vielleicht auch wegen der körperlichen Makel. Tempo raus und Ruhe rein. Auch wenn ich nicht immer weiß was ich will, so weiß ich doch nun ganz genau was ich nicht mehr will. Diesen Erfahrungsschatz auf den ich hierbei zurückgreife, den habe ich nicht in die Wiege gelegt bekommenen. Den habe ich mir hart erarbeitet. Pluspunkt fürs Alter.

Sex…Wow. Der wird mit zunehmendem Alter besser. In meinem Fall zumindest. Ich kenne meinen Körper und meine Bedürfnisse heute sehr viel besser als damals. Und auch Männer verstehen mit zunehmendem Alter, dass Sex mehr ist als das sagenumwobene „Rein-Raus-Spiel“. Ich hätte mit 20zig nicht geglaubt, dass mir Sex mal Spaß machen könnte. Laut lachend und kopfschüttelnd betrachte ich meine sexuelle Zeitspur und habe so zumindest rückblickend Spaß.

Aber was ist mit denen, die nicht gefeiert und experimentiert haben? Mit denen, die immer lange Vorzeige- und Bilderbuchbeziehungen hatten. Wachen die irgendwann morgens auf und finden sie hätten den wichtigsten Teil beim Erwachsenwerden ausgelassen, verpasst oder nicht gewollt? Was, wenn so ein wichtiger Abschnitt auf der Zeitspur fehlt? Das ist wie mit einem Auslandssemester. Wenn man es mit 20 nicht getan hat, tut man es mit dreißig auch nicht mehr. Jammert dann allerdings der verpassten Chance hinterher und rät Anderen, auf diese unglaubliche Erfahrung keinesfalls zu verzichten, wenn man die Möglichkeit dazu grundsätzlich hat.

Und dies ergibt nun für mich persönlich in der Summe, warum ich Angst vor dem alt werden habe. Was wird auf meiner „Lebensendabrechnung“ stehen? Verlasse ich mit Soll oder Haben das Spielfeld? Rück –oder Nachzahlung?

Und da schließt sich der Kreis, denn ob ich mit Plus oder Minus auf dem Lebenskonto die Welt verlasse, hängt einzig von meinen Investitionen ab. Leben unterm Kopfkissen ohne Chance auf Zuwachs, aber dafür schön sicher, oder Warentermingeschäfte mit maximalen Gewinnchancen aber höchstem Risiko? Wieder was zu entscheiden! Mit 18 hat man sich höchstens zwischen einem Abend im „Fritz“ oder einem Abend im „Hemingway“ entscheiden müssen.

Mussten wir oder wollten wir? Ganz klar, wir wollten! Und wir waren uns der Konsequenzen bewusst. Heute weiß doch kein Mensch mehr zu unterscheiden zwischen Dingen die er muss, soll, kann oder will. Zu sehr haben wir uns daran gewöhnt, dass Andere uns raten was das Beste sei. Ist ja auch einfacher. Verantwortung abgeben ist immer leichter. Und ganz ehrlich, auch mich dürstet es nach einem „Anlageberater“ für mein Leben. Einer, der mir Möglichkeiten, Risiken, Einsätze und Gewinne kalkuliert. Aber den gibt es leider nicht und so sollte man sich einfach mal wieder selbst einen Rat geben und sich zuhören. Vielleicht entwirrt es sich dann. Das riesen Knäul aus langsam weichender, unbeschwerter Jugendlichkeit, Verantwortungsgefühl und dem mir hart ins Gesicht knallendem Bewusstsein, im wahrsten Sinne des Knäuls, die Fäden selbst in der Hand zu haben.

Auf was ich zukünftig gucken werde? Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Wie ich gucken werde, das zumindest liegt in meiner Hand. Eine Mischung aus sorgen-u. hoffnungsvoll stünde mir gut zu Gesicht. Ich jammere meinem straffen, jugendlichen Körper hinterher und auch der Sorglosigkeit mit der ich mich durch die Jahre bewegte. Der Gewinn allerdings, mit 40zig eine Andere zu sein, besser, reflektierter, in Teilbereichen entspannter, nimmt dem Gejammere den Wind aus den Segeln.

…und so nehme ich mir vor in Würde zu altern!

 

 

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