Online Gebrauchtwagenmarkt

Online Dating…nun ja, da könnte ich ganze Bücher drüber schreiben und vielen anderen geht es sicher genauso. Die Motivationen sich anzumelden, sind sicher sehr vielfältig. Natürlich ist da der Wunsch jemanden kennenzulernen, mit dem man sich bestenfalls in ein Beziehungsexperiment wagt, aber auch der Unterhaltungsfaktor ist nicht zu vernachlässigen. Ebenso ist es ein hervorragendes Medium der Vorabselektion. Völlig frei von schlechtem Gewissen kann man sich bei Nichtgefallen einfach zum Nächsten klicken. Keine Erklärungen notwendig. In Ruhe und vom Sofa aus kann man alle relevanten Dinge erfragen und die Antworten dahingehend abchecken, ob sie in das Verständnis der eigenen Lebenswirklichkeit passen oder eben nicht. Man verliert sich komplett in Oberflächlichkeiten bereits bei Sichtung der Fotos und leitet aberwitzige Thesen ab. Zu klein- kann keine hohen Schuhe tragen, zu groß-Nackenschmerzen nach Knutscherei im Stehen, schütteres Haar- einfach unattraktiv, keine Kinder- ab einem bestimmten Alter sehr verdächtig, zu viele Kinder- schlimmer Nerv- u. Zeitfaktor, schlecht gekleidet- könnte peinlich werden, zu ernster Blick- chronisch unzufrieden usw. …Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass man im Vorfeld jemanden aussortiert, der eigentlich ganz hervorragend zu einem passen würde, aber: ich kaufe mir ja auch kein Auto mit bestmöglicher Ausstattung, obwohl es mir optisch nicht zusagt. Denn jeden Morgen, wenn ich auf dieses Auto zugehen würde, denke ich mir dann: schön bist du nicht, aber du hast eine Rückfahrkamera?! Blödsinn! Wenn uns jemand optisch nicht anspricht, dann interessiert uns in der Regel nicht mehr ob alles andere kompatibel ist. Zumindest beim Online Dating. Ich will natürlich nicht bestreiten, dass man sich in einem anderen Kontext sehr wohl in jemanden verlieben kann, der zunächst nicht als optisch ansprechend empfunden wird, aber immer attraktiver wird umso näher man sich kennenlernt.

Zurück zum Auto. Unstrittig natürlich, dass einzig eine Hammerkarosserie auch nicht ausreichend ist, was besonders bei längeren Fahrten schnell deutlich wird. Umso mehr gilt es, sich im Vorfeld genau zu überlegen, auf welchen Komfort man bei der  Innenausstattung keinesfalls verzichten möchte und welche Karosserie ansprechend ist. Hier und da kann man sicher Abstriche machen, aber auch diesbezüglich ist wieder Vorsicht geboten. Nur weil der Wagen rot ist und rot meine absolute Lieblingsfarbe, mag ich mich im Sommer darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Sitzheizung fehlt. Spätestens aber im Winter, werde ich diesen Kompromiss schmerzlichst bereuen und mich ärgern, dass mir das Rot so dermaßen die Sinne vernebelt hat und ich meinem eigentlich sehr verlässlichen Bauchgefühl nicht gefolgt bin. Und im Laufe der Zeit wird das Rot auch immer blasser, bis man es gar nicht mehr mag. Also Augen auf bei den anfänglich charmant anmutenden „Macken“ oder „Eigenheiten“, denn die werden meiner Erfahrung nach zunehmend nerv tötender.

Online Dating ist also im Grunde genommen nichts anderes als ein riesiger Gebrauchtwagenmarkt. Erst mal Anzeigen durchforsten, an schönen Fotos hängen bleiben, technische Daten checken, Termin beim Händler vereinbaren, Probefahren, vertragliche Konditionen aushandeln und ggfs. Kaufen.

Ich kann an dieser Form und Ausgestaltung der Partnerschaftsakquise nichts oberflächlich-verwerfliches finden und jeder der mir sagt, das Aussehen sei egal, es ginge doch um die inneren Werte, der ist nicht ganz ehrlich zu sich selbst. Der erste Eindruck ist in der Regel der visuelle und das lässt sich nicht weg reden.
In diesem Sinne verbleibe ich mit einem Augenzwinkern.