Meines Wissens nach gab es dort so etwas nicht. Oder es wurde anders definiert als heutzutage. „Musikgarten“, „Cello für 3 jährige“, „rhythmisches Pupsen“ oder „Gehörgangklangschalenmassage“ scheinen mir eher neumoderner Schnick Schnack zu sein. Meine musikalische Früherziehung übernahmen die Flippers und Roland Kaiser. Mag man jetzt finden wie man will, aber immerhin könnte es dazu beigetragen haben, dass Musik die große Liebe meines Lebens geworden ist. Eine verlässliche Partnerin im Alltag, im Besonderen, Aufputschmittel und Downer gleichermaßen. Nie stellt sie Fragen sondern ist bedingungslos da. Ohne Nino de Angelo wäre mein pubertärer Liebeskummer nicht der selbe gewesen. Das Leid nur halb so schön. Noch heute kann ich bei „Flieger“ oder „Giganten“ theatralische und sehr tränenreiche Zusammenbrüche bekommen. Zack, wieder 13. Wunderbar ist das. Wenn sich der ganze Scheiß mal wieder aufgestaut hat, mich verstopft und blockiert, dann wirkt ein bewusst gewähltes Musikstück wie ein mentales Abführmittel. Dann kommt der ganze Mist hoch und wird rausgespült. So herrlich befreiend. Musik ist meine beste Freundin, meine Therapeutin, mein Motivationstrainerin und vor allem schon immer eine Muse. Eine Energiequelle. Zugegebenermaßen sind es nicht immer nur positive Energien. Über Musik kann ich Ereignisse in meinem Leben zeitlich besser zuordnen. Musik macht mit mir emotionale Zeitreisen. Als meine Mutter damals den schweren Unfall hatte, bin ich 3 Stunden lang Auto gefahren ohne Musik zu hören. Ich wollte musikalische Verknüpfungen zu meinen Gefühlen unbedingt vermeiden. Es hat funktioniert. Und manchmal unterlege ich Situationen ganz bewusst mit Musik um im Nachhinein das gesamte Spektrum erinnern zu können.
Ältere Geschwister zu haben, hat meine musikalische Früherziehung und ich definiere „Früherziehung“ jetzt mal bis zu einem Alter von 15 Jahren, ebenso beeinflusst. Bei meinem Bruder lief in einem Moment eine Platte von der Speedmetalband Helloween und ne Stunde später die Münchner Freiheit. Dieses überaus weite Spektrum habe ich bis heute gern übernommen. Man hat damit so viel mehr Möglichkeiten. Konnte mich nie für ein Genre entscheiden. Meiner Schwester verdanke ich die Affinität zu Ina Deter und das sprühe ich gern an jede Wand.
Nach Abschluss der Früherziehung, der musikalischen Fremd- u. Selbstverletzung, erweiterte ich mein Gefallensrepertoire mit jedem neuen Menschen der in mein Leben trat. Jeder brachte ein musikalisches Geschenk mit. Manche habe ich behalten und manche habe ich weitergegeben oder auch lieblos entsorgt. Es gibt ja sooo furchtbare Musik. Ich weiß ich habe es an anderer Stelle bereits mal erwähnt, aber ich könnte diese Hasstirade täglich feiern: Wenn sich bei Depeche Mode ein roter Faden durch die Alben zieht, dann ist das gewollt und geliebt und der sog. Wiedererkennungswert. Wenn sich bei Linkin Park jedoch jeder Titel gleich anhört, dann ist das einzig kreatives Unvermögen. Ein Sorry an alle, die LP mögen. Mir schmerzen die Ohren. So viel Ehrlichkeit sollte erlaubt sein. Darauf, jeden Song der Flippers mitschmettern zu können, bin ich ja auch nicht gerade stolz. Und so gibt es unzählige Songs die ich nicht ertragen kann. Im Sommer 2018 galt mein ganzer Hass Namikas “ je ne parle bla bla blubb“. Aber jedem das Seine. Gebetsmühlenartig wiederhole ich dieses Mantra.
Und so frage ich mich nun ob musikalische Früherziehung einen pädagogischen Mehrwert hat. In meinem Fall nicht und ich habe Musik ganz für mich alleine entdeckt und das trotz widriger Sozialisationsumstände, ohne Singsang im Kinderkreis an der Musikhochschule, ohne Spieluhr, ohne die Top 30zig der besten Bewegungshits für Kinder von Rolf Zuckowski. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass PEKIP und Co. einzig Mamas Networking dienen, aber das wäre mal einen gesonderten Beitrag wert. Auch hier gilt, jedem das Seine, aber mir bitte nicht.
Vielleicht ist die Liebe zur Musik aber auch etwas „naturgegebenes“ und nicht erlernbar. Ich kenne Leute, die noch nie emotional entgleist sind wegen eines Musikstückes. Unvorstellbar! Was stimmt mit denen denn nicht? Ich glaube ich werde jetzt auch mal entgleisen, einfach nur so. Ich muss mich nur noch entscheiden zwischen: Holger Biege „Sagte mal ein Dichter“ und David Gray „easy way to cry“.
Ich sags ja, auf die Bandbreite kommt es an…;)
redaktionelle Anmerkung: an dieser Stelle seien alle neuen Erdenbürger/innen herzlichst begrüßt! Auf das eure Eltern euch die Gehörgangklangschalenmassage ersparen und stattdessen Nirvana unplugged auflegen. Dann wird alles gut und für den Rest habt ihr mich…