Das blaue Schaf oder Mutti ist an allem Schuld

Meine Mama ist großartig. Ich liebe und schätze sie sehr. Jahrgang 1941 , Sudetendeutsche. Vertrieben aus der Heimat, wie unzählige Deutsche nach Kriegsende auch. Ihr Vater ist 1943 in Staraja Russa gefallen und so haben sie sich nie kennengelernt. Meine Großmutter erzählte zu Lebzeiten, sie habe sich damals mit 3 Kindern und einem Bollerwagen auf den Weg gemacht. Sie war damals 32 Jahre alt und hatte gerade erst ihren Mann verloren und auch ihre Heimat. Generationen meiner Vorfahren mütterlicherseits haben in Georgswalde und Niederehrenberg gelebt. Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, was es mit ihr und den Kindern gemacht haben muss. Angekommen sind sie dann auf einem kleinen Dorf in Mecklenburg Vorpommern und dort auch geblieben.

So großartig meine Mutter auch ist, so spürbar ist noch heute, mit 76, wie tief diese Traumata sitzen und wie sehr sich die für damalige Verhältnisse überlebenswichtigen Strategien bis heute manifestiert haben. Da sie aber heute als Schutzschild nicht mehr gebraucht werden, erscheinen sie mir oft als nervig und anstrengend. Diese Muster hat sie von ihrer Mutter übernommen und ich übernahm sie von ihr. Ob ich wollte oder nicht. Um die schreckliche Kriegs- u. Nachkriegszeit zu überleben, physisch und vor allem aber psychisch bedurfte es sicher etlicher Kniffe der Psyche um einigermaßen bei Verstand zu bleiben. Es war kaum möglich die Grundbedürfnisse nach Nahrung und einem sicheren Schlafplatz zu befriedigen. Nähe, Liebe, verlässliche Bindungen, körperliche Zuwendung und alles was ein Kind aus heutiger Sicht braucht um sich gut entwickeln zu können ist gänzlich auf der Strecke geblieben.

Dann ist meine Mutter selbst Mutter geworden. Ohne ihre Biografie je bearbeitet zu haben. Was für mich prägsam war, war ihre nicht lesbare Mimik. Ich konnte immer nur vermuten wie sich meine Mutter fühlt. Es erspüren und mich sorgen. Ablesen konnte ich es nicht. Ich denke Gefühle zu zeigen ist etwas, was sie nicht gelernt hat. Meine Großmutter hat nie gejammert. Sich nie beschwert. Augen zu und durch und so hat sie es auch gemacht. Auch meine Mutter jammert nie. Nicht mal wenn sie Grund dazu hat. Beschwerden und Aufbegehren war damals nicht zielführend. Angepasst musste man sein um zu überleben. „Was sollen denn die Leute von uns denken“, fasst was ich meine sehr treffend zusammen. Wie oft ich diesen Satz gehört habe und noch heute fällt er ab und an. Meine Mutter ist total kontrolliert und sehr zwanghaft. Ein Blick in ihren Kleiderschrank verrät dies mehr als deutlich. Verbale Entgleisungen kann ich nicht erinnern, großes Schweigen hingegen sehr. Ob die „stille Woche“ mit meinem Vater oder an mich gerichteter Liebesentzug. Ich sehe mich noch wie heute an sie geklammert in der Küche stehen, darum bettelnd, dass sie wieder lieb mit mir ist, bzw. beteuernd, dass ich wieder lieb sein will. Diese Art von Zurückweisung durch Schweigen hat mich sehr verletzt. Ich ging ihr bis zum Bauch, war also vermutlich zwischen 6-8 Jahre alt. Was ich angestellt habe weiß ich nicht mehr. Vermutlich habe ich sie enttäuscht. Wie so oft nicht nach ihrem Ermessen funktioniert. Wo sie doch gelernt hat, dass Angepasstheit, blinder Gehorsam und die Demonstration von Stärke überlebenswichtig sind. Um 1985 allerdings nicht mehr.

Jetzt stellt sich mir die Frage was meine Psyche aufgefahren hat, um dies einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Zunächst einen gepflegten Kontrollzwang. Getreu dem Motto: Wenn ich selbst steuere gibt es keine Unvorhersehbarkeiten. Aber da im Leben nichts kontrollierbar ist, erleide ich regelmäßig Schiffbruch. Veränderungen sind nicht so meins. Aus dem Kontrollzwang resultiert ein übergroßes Sicherheitsbedürfnis. Aber was ist schon sicher? Erwartungen…meist sind sie zu hoch. An mich, an andere. Und so bin ich die meiste Zeit meines Lebens damit beschäftigt unglücklich zu sein. Es sei denn alles läuft nach Plan. Nach meinem!

Manchmal geht es mir so schlecht, dass ich mir einrede, alle Traumata meiner Vorfahren liegen tonnenschwer auf meinen Schultern. Ich bin dann leer und innerlich eiskalt. Die Elementarlieben zu Familie und meinem Sohn bleiben davon stets unberührt. Der Rest kippt. Alles und jeder wird mir zu viel. Die Probleme meiner Freunde scheinen egal, ich interessiere mich für nichts mehr und drehe mich ausschließlich um mich selbst. Was für meine Großmutter und meine Mutter hilfreich und überlebenswichtig war, macht mir mein Leben kaputt. Könnte ziemlich entspannt sein so ein Leben als Depressive. Wenn da nicht mein innerer Antrieb zur Veränderung wäre. Das treibt den Wahnsinn aber zumeist auf die Spitze. Ich bin so durchreflektiert und übertherapiert, dass das „Ich will das nicht mehr. Ich will glücklich sein“ und das „Mir ist das alles bewusst, aber ich komme nicht auf eine Handlungsebene“ sich täglich gegenseitig in ihre hässlichen Fratzen brüllen. Was ist passiert damals als ich mich um meine Mutter schlang und um Liebe und Vergebung bettelte? Ich habe gelernt, dass es besser ist Gefühle unter Verschluss zu halten. Kontrollieren. Dann tut es nicht oder wenigstens weniger weh. Was habe ich gelernt aus der stillen Woche meiner Eltern? Ich habe einen Vater erlebt der Klärung wollte und eine Mutter die schwieg und sich vermutlich innerlich vereist hat um nichts zu spüren. Danke dafür, denn offensichtlich ist das der Mechanismus in meinem Leben der mich immer wieder unglücklich macht. Der Vater meines Sohnes wollte Klärung. Immer. Selbst wenn ich bereits das Zimmer verlassen hatte. Die Männer danach wollten Klärung und Gefühle. Ella kann aber Gefühle nicht so gut und Klärung nur wenn es wirklich sein muss. Rückzug, Trennung, Neuanfang sind eher die Mittel meiner Wahl. Was sich schlecht anfühlt muss weg, schön unter dem Deckmantel der Selbstfürsorge. Was zu eng und zu nahe kommt muss weg oder zu mindestens relativiert werden. Nähe macht angreifbar, Nähe vermissen unglücklich. Es ist ein Teufelskreis.

Ich mache meiner Mutter keine Vorwürfe. Für sie waren diese Strategien wichtig und da sie ihre Vergangenheit nie aufgearbeitet hat und diese in Gesprächen auch nur wage mal aufblitzt, hatte sie nie einen Grund ihre Muster aufzugeben. Ich aber, seit Jahren immer wieder in Therapie, habe nun das große Glück aktuell eine fantastische Therapeutin zu haben, die mir meine erlernten und auch meine übernommenen Muster auf dem Silbertablett präsentiert. Ich bin schon froh, dass ich überhaupt in der Lage bin meine Muster sehen zu können. Selbstkritik zulassen zu können. Das macht es natürlich nicht einfacher, aber es gibt Erklärungsansätze, wenn die eiskalte Leere mich mal wieder überkommt. Und ich muss lernen es auszuhalten. Nicht mehr weglaufen. Das sagt sich allerdings so einfach, wenn man nicht mehr weiß ob die Gefühle eingebildet waren oder ob der Verlust dieser Gefühle eingebildet, weil eine Schutzreaktion auf irgendwas, ist.

Am Valentinstag sehe ich das blaue Schaf wieder. Es steht vor der Haustür meiner Therapeutin. Transgenerationale Traumata werden vermutlich auch dann wieder Thema sein. Ich hoffe mein düsterer Begleiter hat sich bis dahin vornehm zurückgezogen.

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