Anleitung zum Unglücklichsein

„Für eine richtig schöne Panikattacke nehme man: Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, Übelkeit und eine Prise Körperkribbeln. Das Ganze dann für 10 Min. richtig intensiv nachspüren und ja nicht vergessen sich dabei ordentlich verrückt zu machen und Todesangst zu entwickeln. “

Nach nun fast 8 Wochen teilstationärer, psychosomatischer Behandlung, wird es Zeit für ein Zwischenresümee. Zunächst soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich froh bin, diesen Schritt gegangen zu sein. Der Weg war hart, steinig, führte durch viele Täler aber ab und an schien auch die Sonne. Ich merke schon nach den ersten Sätzen, dass ich diesen Text gar nicht mehr schreiben kann, ohne dass meine neue Haltung zu mir selbst und meinem Leben miteinfließt. Im Grunde genommen ein gutes Zeichen, weil es bedeutet, dass ich einiges bereits verinnerlicht habe.

Ich war von Beginn an offen, habe mir vorgenommen alles auszuprobieren, weil ich an einen Punkt gelangt war, an dem ich mir ein Lorbeerblatt auf die Stirn geklebt hätte, hätte mir jemand gesagt, damit würde es besser. Als nicht ganz therapieunerfahrene Sozialpädagogin hatte ich befürchtet, meine eigene Arroganz könnte mir im Wege stehen. Tat sie aber nicht, weil mir der Rollen- u. Perspektivwechsel hin zur Patientin gut gelang. Denn was ich bereits am ersten Tag begriff: alle in dieser Gruppe, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Beruf und sozialem Status verband eines ganz sicher- ein Störungsbild mit einhergehendem Leidensdruck. Was mich gut ankommen ließ, waren wundervolle Leidensgenossen und ein Therapeutenteam, welches seinen Job offensichtlich gern und mit Leidenschaft macht. Natürlich habe ich zunächst Achtsamkeitsspaziergänge und Chi Gong innerlich belächelt. Aber weniger (vielleicht ein bisschen) weil ich es albern fand, sondern nie gedacht hätte „zu sowas“ einen Zugang finden zu können. Jeder der mich gut kennt, wird eifrig abnicken.

Ich habe im Affektregulationstrainig Wasabi probiert und Wasserflaschen solange gegen eine Stahltür geworfen bis sie geplatzt sind, was sehr zu Verwunderung beim Hausmeister führte. Ich war im Psychodrama eine Biene, habe mit Stühlen und Blumentöpfen meine „Lebensbaustellen“ aufgestellt, in Gruppensitzungen öffentlich geheult, in Gedankenexpositionen meinen schlimmsten Katastrophengedanken auf Band gesprochen und es mir solange immer wieder angehört, bis mein Körper nicht mehr darauf reagiert hat. Ich habe die radikale Akzeptanz kennengelernt, was gut und hilfreich war für die sagenumwobene Erstverschlimmerung der Symptome in den ersten Wochen.  Ich habe in Rollenspielen und „unter der Ressourcendusche“ das erste Mal Rückmeldung zu meiner Außenwirkung auf völlig Fremde bekommen  und in der Ergotherapie tatsächlich einen Speckstein bearbeitet. Ich habe mich selten bei innerlichem Augenrollen ertappt, weder bezogen auf die Therapieangebote noch bezogen auf die Mitpatienten.

Ich habe verstanden, dass Gedanken umzuprogrammieren sind und ich es nun tun will. Ich habe verstanden, dass es Methoden gibt um das Gedankenkarussell zu stoppen und ich sie nun anwenden will. Ich habe verstanden, Dinge anzunehmen wie sie sind, weil sie eben nicht veränderbar sind und das ich bei Dingen die ich verändern kann, endlich beginnen werde sie zu verändern. Das wohl Wichtigste was ich gelernt habe ist nicht jeden Gedanken zu bewerten, nur weil er gerade auftaucht. Denn das Wetter wird nicht besser, weil ich es als mies bewerte. Im Gegenteil, steige ich in die Bewertung ein, kommt es schnell zu schlechter Laune und das einzig, weil ich mich in etwas reinsteigere, das ich nicht verändern kann. Das Wetter. Verändern kann ich nur meine Bewertung zum Wetter. Diese Erkenntnis lässt sich auf jeden Lebensbereich übertragen und erscheint mir wie ein Geschenk.

Ich kam mit einem leeren Werkzeugkoffer und konnte ihn mit Vielerlei bestücken. Diesen Koffer werde ich nächste Woche mitnehmen und darauf zugreifen, wann immer es nötig ist. Ich denke einen größeren Benefit kann es nach solch intensiver Therapie kaum geben. Handwerkzeug für die Tage und Wochen die kommen werden und an denen es mehr wolkig als heiter sein wird. Ich habe den Anspruch auf das universelle und immerwährende Glück abgelegt und freue mich stattdessen über jeden guten Tag. Ich wache morgens auf und bedanke mich für 3 schöne Dinge des Vortages, statt sorgenvoll in den neuen Tag zu starten. Ich bin gelassener geworden was meine streng getaktete Alltagsroutine betrifft und habe endlich mal mich selbst im Fokus statt andere. Ich vermeide nur wenige Dinge und lobe mich für jede gemeisterte, angstbesetzte Situation.

Alles in Allem fühle ich mich gut gewappnet für die Rückkehr „ins normale Leben“. Ich blicke auf 8 Wochen gemeinsames Lachen, Leiden, Weinen, Fühlen und Lernen zurück. Auf fast schon philosophische, therapeutische Einzelgespräche, auf Mitarbeiter, die alles möglich gemacht haben was möglich zu machen war und auf intensive und lehrreiche Gespräche mit Mitpatienten, denn am Ende verstehen Betroffene andere Betroffene doch am besten.

Ich blicke positiv in die Zukunft und sage mir in Krisen: So wie es gerade ist, wird es nicht bleiben- was Hoffnung macht. Ich sage mir dies aber auch in Hochphasen, weil es dankbar macht.  Mit dieser Haltung hat die Medaille zwar immer noch 2 Seiten, aber 2 gute, denn es ist wie immer alles eine Frage der Perspektive. Und das werde ich radikal akzeptieren.

 

Eine Antwort auf „Anleitung zum Unglücklichsein“

  1. Das hast du sehr sehr schön geschrieben und beschrieben
    Ich freue mich riesig das du soviel positives mitnehmen konntest.
    Du bist ein toller Mensch….ich wünsche dir vom ganzen Herzen nur das beste ❤

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