One night in Bangkok

Ich war 20 oder 21 als ich dich kennenlernte. Du warst 40, so alt wie ich jetzt. Ich habe in den Ferien auf dem Gutshof die Kinder der Gäste betreut und als ich dich das erste Mal traf, fand ich dich ziemlich doof. Du warst mit dem Chef befreundet und so überpräsent, raumfordernd und laut. Du hast immer alle Blicke auf dich gezogen, weil du auch noch schön und klug warst. Das konnte ich nur doof finden! Ich am mich finden, du mitten im Leben. Fest, mit beiden Beinen. Habe innerlich schon mit den Augen gerollt als es nur hieß, dass du gleich noch vorbeikommen wirst. Und dann immer dieses Lied! Wenn ich die ersten Töne von Murray Head hörte war mein mentaler Brechreiz kaum zu stoppen. Es war also im Gesamtpaket furchtbar.

Eines Tages,  richteten dir die angestellten Hofdamen eines der Hotelzimmer her. Sie streuten Rosenblüten auf das Bett und stellten Sekt bereit. Du warst mit einem verheirateten Mann liiert und ihr wolltet euch im Gutshof treffen. Und so doof ich dich auch fand, das hat mich tatsächlich beeindruckt. Mich unsagbar neugierig gemacht. Ich schaffte es dann tatsächlich meine gut gepflegte Antipathie bei Seite zu legen, um meine Neugier zu befriedigen. Wir kamen über deine Liaison ins Gespräch und es passierte was immer passiert, wenn man sich die Mühe macht,die Perspektive seiner Bewertungen zu verändern. Ich sah dich plötzlich in einem völlig anderen Licht. Alleinerziehend mit 2 fast erwachsenen Söhnen, in Vollzeit berufstätig und gesegnet mit einer unbändigen Lebenslust. Es kam wie es kommen musste und wir verbrachten ab dann sehr viel Zeit miteinander. Hauptsächlich im Gutshof und später im „Ocean Night Club“. Zu „One night in Bangkok“ wurde plötzlich getanzt und nicht mehr gekotzt, gekotzt dann eher nach zu viel Gin und Tequila. Du hast das Leben gefeiert und wir haben uns gefeiert. Wir haben gemeinsam der Ehefrau deiner Liaison lustige Nachrichten auf der Windschutzscheibe hinterlassen, wir haben auf Billardtischen gestrippt, uns Tarotkarten gelegt und wir haben zusammen dein Hochzeitskleid gekauft. Dank deiner Initiative habe ich meine allererste Therapie begonnen, du hast mir die Daumen gedrückt für meine Abschlussprüfungen und zu dir führte mein erster Weg nach bestandenem Kolloquium. Auch als Schwiegermutter warst du spitze, als ich mich in einen deiner Söhne verliebte und wir auch tatsächlich kurz ein Paar wurden.

Du warst immer so voller Leben und Energie. Aufgeben war keine Option und du hast dich nie beschwert. Du warst immer schonungslos ehrlich und unfassbar stark. Darum habe ich deine schwachen Momente immer ein wenig genossen und mir erleichtert gedacht: „Puh, sie ist eben auch nur ein Mensch…“und das meine ich von ganzem Herzen lieb. Unsicher warst du, als du deinen Ehemann kennengelernt hast. Der Arme musste als erste Feuerprobe aber auch gleich deinen gesamten verrückten Freundeskreis kennenlernen. Aber er hat dich rumgekriegt, dir deine Unsicherheiten genommen und du wurdest seine Frau. Eine der besten Entscheidungen deines Lebens. Das würdest du sicher auch selbst so beurteilen…wenn du es noch könntest…

…denn du bist nicht mehr da und dieser Verlust, so frisch an Tagen, schmerzt sehr. Du hast gesagt ich soll dich so in Erinnerung behalten wie du warst, als wir uns das letzte Mal sahen. So wie wir waren, als wir barfuß über die Tanzfläche sprangen. Das war deine Antwort darauf, dass ich dir sagte ich sei zu feige dich nochmal zu sehen bevor du gehst, weil ich es nicht ertragen hätte dich zu sehen, mit dem Wissen, dass es das letzte Mal ist. Das war unser Abschied. Dies hier ist ein Abschied. Unendlich dankbar für diese großartigen Jahren bleibe ich zurück in einer Welt, die sich nun ohne dich weiterdreht. Das Leben ist kurz und ich werde es genießen so gut ich kann. Ich danke dir für deine Liebe!

Meiner Freundin Mary *25.12.1959- 06.05.2019

 

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