Die Angst ist nicht der Feind…

…ein Freund vielmehr, auch wenn diese Betrachtungsweise mir punktuell schwerfällt. Denn ein Freund benimmt sich nicht so. Vielleicht, weil er sich nicht ernstgenommen oder übersehen fühlt. Gut, dann bin ich nun bereit meiner Angst zuzuhören. Nachdem sie mir monatelang laut ins Ohr gebrüllt hat, gibt es vermutlich auch keinen anderen Weg mehr. Ich möchte nun gern mit ihr in Klärung gehen. Sie nach ihrem Anliegen fragen, denn sie ist da und hat nicht vor zu gehen ohne gehört zu werden. Nach einem nun schon 5 Monate andauernden Psychosomatikmartyrium will ich die letzten Kräfte mobilisieren, um mich der Angst zu stellen. Sie war schon immer da, aber offensichtlich fühlte sie sich nie angemessen hofiert und hat im November mit allen ihr noch zur Verfügung stehenden Kräften zugeschlagen.

Ich bin jetzt an einem Punkt, da ich nach tatsächlich unzähligen Facharztbesuchen anerkennen muss, dass all meine Symptome wohl nicht körperlicher Natur sind und anstatt zu jammern wie schlecht es mir geht, sollte ich mich wohl fragen warum dies so ist um auf eine Handlungsebene zu kommen. Zunächst lag die Antwort auf der Hand: es geht mir schlecht wegen der Symptome und wären die nicht da, würde es mir besser gehen. Macht objektiv betrachtet Sinn. Nur steht die leidvolle Erkenntnis dahinter, dass die Symptome nicht verschwinden, solange es mir schlecht geht. Ein Teufelskreis.

Was also tun? Ich habe begonnen die Angst und ihr Gefolge anzuerkennen. Habe punktuell Frieden geschlossen und mir gesagt: dann ist das jetzt eben so und ich werde damit leben müssen. Nach langer Krankschreibung dann wieder arbeiten zu gehen war der erste, völlig richtige Schritt. Das hat meinen Jammeralltag wieder strukturiert. Ich habe mich jeden morgen aufs Neue dazu gezwungen aufzustehen, mich fertig zu machen und ins Auto zu steigen. Ich habe mir untersagt, wenn es auf der Arbeit unerträglich schien, den Dienst abzubrechen und es durchzuziehen. Mit dem Erfolg, dass ich mich jeden Abend dafür gefeiert habe, wieder einen Tag geschafft zu haben. Auch habe ich mir vorgenommen nicht in die Vermeidung zu gehen. Jeder Situation, in der ich Angst vor der Angst entwickelt habe, habe ich mich bewusst gestellt. Denn ich glaube der Grad ist schmal und plötzlich geht man nicht mehr aus dem Haus, weil ja die Angst kommen könnte. Und sie kam auch. Unzählige Male und ich habe gelernt sie zu regulieren. Ich habe begonnen sie auszublenden, sie auf später vertröstet, ihr gesagt sie soll sich zum Teufel scheren oder ich habe ihr gesagt: na dann los, komm schon, dann haben wir es hinter uns.

Dann habe ich mir Schützenhilfe geholt. Ich hatte ein Casting für einen teilstationären Therapieplatz an der MHH, habe mir die Finger blutig telefoniert auf der Suche nach einem niedergelassenen Verhaltenstherapeuten, dessen Warteliste nicht 6 Monate lang ist und habe auf eigene Kosten eine Hypnotherapie begonnen um irgendwie ins Handel zu kommen. Und siehe da, es wurde besser und ich dankbar für jeden Tag der nahe an der Normalität war. Ich habe mich neu in mein wunderbares Leben verliebt, mit dem ich im November sehr gehadert habe. Diese oft nur wenigen Minuten ohne Symptome erschienen mir wie ein Geschenk. Mein Leben ist ein Geschenk. Wie ich mich gesehnt habe nach diesen alltäglichen Situationen, die mir so selbstverständlich erschienen. Das sind sie aber nicht und das wurde mir klar, als ich es im Dezember nicht mal mehr geschafft habe, meinem Sohn abends etwas vorzulesen, weil ich vor lauter Schwindel die Buchstaben nicht mehr sehen konnte. Und als er irgendwann an einem Wochenende mal meinte: Mama immer liegst du nur auf dem Sofa und bist müde, da war klar jetzt ist Schluss damit. Der scheiß Schwindel soll sich ins Knie ficken.

Mittlerweile habe ich meinen Kollegen mitgeteilt was Stand der Dinge ist, weil es Situationen gibt, in denen ich zum Beispiel Teambesprechungen verlassen muss oder in Gesprächen nicht mehr folgen kann, weil mein Symptomfokus wieder mehr als scharf gestellt ist. Ich will mit meinem Verhalten aber niemanden verletzten und so habe ich es offen thematisiert. Wir sprechen jetzt gelegentlich darüber und das macht die Angst weniger groß und schrecklich. „Der kollegiale Inner Circle“ nimmt sich sogar Zeit, neben wirklich viel Arbeit, meine Bilder aus der Hypnotherapie nach zu besprechen, damit ich mich nicht in meine eigenen Hypothesen dazu verliebe und offen für unterschiedliche Perspektiven bleibe. Das alles hilft so ungemein. Und ich schäme mich nicht dafür. Auch hier und jetzt nicht, obwohl ich weiß dass es Mitleser gibt die eigentlich nur „Hatewatching“ betreiben. Aber das sei ihnen gegönnt. Ich profitiere viel vom Austausch mit Menschen, die die selbe Diagnose haben und alle versichern mir: Das geht wieder weg! Ich muss eben nur etwas dafür tun. Von allein kommt nix. Und ich bin bereit, habe angefangen den Weg zu gehen und ich zieh das jetzt durch bis zu dem Tag, an dem ich irgendwo sitze, in mich hinein höre und da keine körperlichen Befindlichkeiten mehr sind, als eine tiefe Zufriedenheit und Wohlbefinden. Ja ich weiß, das ist ein großes Ziel. Darum mache ich die Angst zu meinem engsten Vertrauten. Werde ihr zuhören. Noch spricht sie sehr leise, aber wenigstens sind wir seit der Hypnotherapie überhaupt ins Gespräch gekommen. Ich werde geduldig mit ihr sein. Geduldig mit mir sein.

Ich bin zutiefst dankbar für all die Menschen, die diesen Weg mit mir zusammen gehen. Im Besonderen Anni, die mir die Hand beim zweiten MRT gehalten und bei jedem Facharzttermin mitgefiebert hat, Sebastian Kraemer, dessen Buch und persönliche Worte so viel Hoffnung machen, der Vater meines wunderbaren Kindes, der mir bei meiner Talfahrt komplett den Rücken freigehalten und auch gestärkt hat, natürlich der Mann den ich liebe, einfach weil er mich liebt, trotz allem…und der „kollegiale Inner Circle“ der wohl der beste ist, den man sich in solchen Krisen wünschen kann.

Es geht weiter. Immer. Irgendwie.

3 Antworten auf „Die Angst ist nicht der Feind…“

  1. Meine Liebe Glückwunsch zu deiner Entscheidung. Das ist schon mal der erste Schritt auf dem richtigen Weg. Ich wünsche dir ganz viel Kraft und du wirst sehen jetzt wird es wirklich besser. Denn du hast dein Leben wieder in deine Hände genommen und etwas unternommen. So kenn ich dich halte durch alles wird gut.

  2. Wow, ein schöner, ehrlicher Beitrag. Vielen Dank für Deine Offenheit und dafür, dass Du Deine Gedanken mit uns teilst.

    Es freut mich sehr, dass Dir mein Buch Hoffnung macht. Über diesen Hinweis habe ich mich riesig gefreut!

    Lieben Gruß.

    Sebastian Kraemer

Schreibe einen Kommentar zu Sebastian Kraemer Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.