…oder: hätte ich mal bloß Pipi Langstrumpf gelesen. Das hätte mir eine teure Weiterbildung erspart. „Ich mach mir meine Welt wie sie mir gefällt.“ So einfach ist das also? Scheinbar nicht, denn immer wieder höre ich im Freundeskreis und auch von Klienten: Warum ist er so zu mir? Wieso tut sie das? Wie kann man so sein? Warum passiert immer mir das? Lebten wir alle nach Pipis Werten, wären Menschen die dieserlei Gefühle in uns auslösen, kein Bestandteil unseres persönlichen Mikrokosmus mehr. Denn mit solchen Menschen wäre unsere Welt ja nicht mehr wie sie uns gefällt und wem gefallen schon nie enden wollende Negativgedankenschleifen?
Ich persönlich profitiere von den Grundannahmen des radikalen Konstruktivismus seit ich sie kenne. Kurzum: jeder von uns ist geprägt durch ganz individuelle Erfahrungen (Achtung Sozialpädagogenslang) und zwar ganzheitlich. Wo wir lebten, mit wem wir aufwuchsen, welche Erziehung wir genossen und unzählige andere Faktoren haben und zu dem gemacht was wir sind. Genau das macht die Zivilisation so vielfältig, denn wären wir alle gleich, wäre das wohl ziemlich langweilig. Aber (erhobener Zeigefinger) genau diese Vielfältigkeit macht es in zwischenmenschlichen Beziehungen so schwierig. Ich sage der Pullover ist lavendelfarbend. Er sagt, der Pullover ist lila. Wer hat recht? Ich sage, mir ist wichtig dass die Wohnung schön und gemütlich ist. Er sagt, das sei ihm nicht wichtig, denn es sei lediglich ein Ort zum schlafen. Und dies sind noch die harmlosen Beispiele. Wir haben uns im laufe der Jahre unsere eigene Wirklichkeit geschaffen. Eine Wirklichkeit so individuell, dass es keine zweite dieser Art geben kann. Manchmal und mit viel Glück prallen Wirklichkeiten aufeinander die eine große gemeinsame Schnittmenge haben. Deins, meins, unsers- das kann funktionieren. Dogmen hingegen, dass meins mehr wert ist als deins, meine Wirklichkeit richtiger, lebenswerter, schöner, erfüllender….als die deine, das kann nur in einer Katastrophe enden. Wenn es uns Allen also gelingen würde, andere Wirklichkeiten anzuerkennen, würden wir uns dann weniger fragen wieso er ist wie er ist und wie man so nur sein kann? Ich bin unsicher, glaube aber fest daran, dass es zwischenmenschliche Beziehungen entspannter machen würde. Es ist so viel zermürbender sich mit der Frage danach, warum Jemand ist wie er ist zu plagen, als einfach anzuerkennen, dass er ist wie er ist, weil seine Wirklichkeit sich aus völlig anderen Bauteilen konstruiert hat als die meine. Das zumindest hilft mir. Meistens. Manchmal. Noch zu selten. Aber ich habe es auf dem Schirm und das ist der erste Schritt. Und (nochmal erhobener Zeigefinger) was ich noch gut kann ist umdeuten. Der Systemiker nennt es wohl Reframing. Denn die Wirklichkeiten Anderer sind nicht immer nur ein Ärgernis, abstoßend, beängstigend, verstörend, verunsichernd und zum Haare raufen. Weit gefehlt. Sie erweitern den Horizont, bereichern, sind Perspektivwechsel und im besten Fall ein neues Bauteil für das eigene Wirklichkeitskonstrukt. Da schließt sich dann auch schon der Kreis zu Pipi Langstrumpfs Sicht auf die Dinge: erweitere unerlässlich deinen eigenen Baukasten, tausche Teile mit Menschen die dir lieb sind, verschenke Bauteile, verabschiede dich von einigen und hole dir neue, weil nur dann wird Pipi am Ende doch noch recht behalten…;)